„Anthem“, Choreographie: Goyo Montero

„Anthem“, Choreographie: Goyo Montero

Poetisch, hintergründig, scharfsinnig aus dem Vollen schöpfen

15 Jahre Staatstheater Nürnberg Ballett – ein Gespräch mit Goyo Montero

Leidenschaft für den Tanz – das treibt Goyo Montero um. Seit 2008 schreibt der Spanier in der mittelfränkischen Metropole Tanzgeschichte. Seine so kraft- wie geheimnisvollen choreografischen Schöpfungen (32 sind es aktuell), die oft überraschen und stets meisterhaft ins Schwarze treffen, ziehen das – nicht nur heimische – Publikum schier magisch an. Ihm ist es gelungen, die Stadt Nürnberg auf die europäische Ballett-Landkarte zu setzen.

Nürnberg, 03/08/2023

Leidenschaft für den Tanz – das treibt Goyo Montero um. Seit 2008 schreibt der Spanier in der mittelfränkischen Metropole Tanzgeschichte. Seine so kraft- wie geheimnisvollen choreografischen Schöpfungen (32 sind es aktuell), die oft überraschen und stets meisterhaft ins Schwarze treffen, ziehen das – nicht nur heimische – Publikum schier magisch an. Ihm ist es gelungen, die Stadt Nürnberg auf die europäische Ballett-Landkarte zu setzen. Weltweit renommierte Choreografen (Jiří Kylián, Nacho Duato, Mats Ek, Johan Inger, Crystal Pite, Mauro Bigonzetti, Ohad Naharin, William Forsythe, Christian Spuck, Alexander Ekman, Hofesh Shechter, Marco Goecke, Jacopo Godani, Edward Clug) und mittlerweile selbst gefragte Nachwuchstalente (Douglas Lee, Cayetano Soto, Jiří Bubeníček, Jeroen Verbruggen, Bryan Arias, Joseph Hernandez) haben seiner Kompanie Werke anvertraut. Montero selbst lässt tanzen, was ihn bewegt – inspiriert durch Erlebnisse und Gespräche, Alltagseindrücke oder Situationen aus seinem unmittelbaren Umfeld, durch Kultur, Bildende Kunst, Literatur und Philosophie. Anregungen findet er stets in den Tiefen der menschlichen Seele. Sein Markenzeichen sind starke Bilder für innere Befindlichkeiten, für die Ab- und Beweggründe von Verhaltensweisen. Als Meister von Tanzwerken spornt ihn ungeheure Lust an, Geschichten und Emotionen mit Körpern zu erzählen.

VESNA MLAKAR: Wie blickst Du selbst auf deine Anfänge in Nürnberg zurück?

GOYO MONTERO: Anfangs hatte ich überhaupt keine Erfahrung als Ballettdirektor. Das war eine riesige Herausforderung. Ich musste bei Null beginnen. Aber Staatsintendant Peter Theiler erlaubte mir, mein eigenes Team (Ballettmeister, Repetitor etc.) mitzubringen, was selten der Fall ist. Nur Dorothea Mosl, meine persönliche Referentin, hatte vorher schon mit meiner Vorgängerin Daniela Kurz zusammengearbeitet. Sie wollte bleiben, meinen Weg begleiten und wurde ein wichtiger Teil unseres Erfolgs der letzten 15 Jahre.

Das Formen eines Teams und einer neuen Kompanie war Dein erster Schritt?

Ja – und dabei hatte ich großes Glück. Wir führten zwei Auditions durch – eine in Spanien, die andere in Nürnberg – und schauten uns dabei über 500 Leute an, um dann mit den ersten 16 Tänzerinnen und Tänzern loszulegen. Die meisten waren sehr jung, mit wenigen Jahren Berufserfahrung. Einige brachte ich aus Spanien mit, aus Kompanien, die ich kannte bzw. Tänzer, die mit mir arbeiten wollten. Fast alle sind die ersten 10 Jahre geblieben. Heute beschäftigen wir 24 Ensemblemitglieder. Alle haben Solistenverträge und bekommen das gleiche Anfangsgehalt. Es erhöht sich mit jedem Jahr, das man länger dabei ist. Dafür habe ich mich viele Jahre eingesetzt. Es macht die Kompanie paritätisch. Zudem arbeite ich viel mit Gruppe – da ist jeder mal in einem bestimmten Moment vorne und muss die anderen (an)führen. Das ist unsere Philosophie, sie bewirkt, dass unsere Tänzerinnen und Tänzer so sind, wie sie sind: ein ausgewogenes Miteinander.

Wie hat Euch das Publikum aufgenommen?

Auch hier mussten wir alles neu aufbauen. Die Zuschauer waren geprägt von den mehr auf Tanztheater fokussierten Arbeiten meiner Vorgängerin, ihrer Ästhetik und Technologieverbundenheit. Dann kamen wir und machten etwas total anderes. Ich änderte auch den Namen der Kompanie von „Tanztheater“ in „Ballett“. Aufgrund meiner Biografie dachten alle, ich würde jetzt klassisches Ballett in Tutus zeigen. Unser erstes Programm war „Benditos, Malditos“ („Gesegnete, Verdammte“) in der Tafelhalle: reiner zeitgenössischer Tanz – Bewegung mit viel Physikalität und mit der Persönlichkeit unserer Tänzerinnen und Tänzer. Ich habe selbst auch noch mitgetanzt. Das war unser Startschuss und der Beginn einer Liebesgeschichte mit unserem Publikum.

Seither erfreut sich das Staatstheater Nürnberg Ballett ununterbrochen einer ungemein positiven Resonanz.

Die Leute kamen, und sie sind mit uns, mit unseren Projekten gewachsen. Wir können uns verstärkt ins Experimentelle, mehr ins Neoklassische oder Zeitgenössische wagen. Man vertraut uns und unserer Programmatik. Dieses Jahr hatten wir mehr als 95% Auslastung – in einer Zeit, nach der Pandemie, wo keineswegs jedes Haus in jeder Stadt selbstverständlich voll wird und manche Sparten teils sogar 30% weniger Zuschauer*innen verzeichnen. Zu uns dagegen kommen so viele wie nie. Das wird hoffentlich so bleiben. Ich sehe darin aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung und Verantwortung. Viele hier kennen alle meine Arbeiten seit nunmehr 15 Jahren. Da kann ich mich nicht bequem zurücklehnen oder mich wiederholen, sondern muss ständig Neues entdecken und ausprobieren.

Viele Deiner Produktionen sind national wie international enorm nachgefragt. Warum gibt es nicht mehr Wiederaufnahmen in Nürnberg?

Ich habe viele Werke – und die Klassiker „Romeo und Julia“, „Nussknacker“ und „Cinderella“ sowieso – wieder zurück auf die Bühne gebracht. Manche lieben meine dunklen Stücke mehr, oder jene, die mit klassischer Musik verbunden sind. Andere wiederum mögen gerade die Arbeiten, die zusammen mit dem kanadischen Komponisten Owen Belton entstanden sind. Und es gibt auch Zuschauer*inneb, die gerade diese Werke überhaupt nicht schätzen, aber trotzdem kommen, weil sie unsere Kompanie so fantastisch finden … „Traum der Vernunft“, „Latent“ oder „Monade“ würde ich wahnsinnig gerne wiederaufnehmen. Alles dazu haben wir. Das einzige Problem ist, dass pro Saison zwei Wiederaufnahmen und drei Neuproduktionen vorgesehen sind. Wenn dann aber die Uraufführungen so erfolgreich sind und stark nachgefragt werden wie „Goldberg“ in dieser Spielzeit, muss ich diese schon deshalb in der folgenden Spielzeit weiterlaufen lassen. Folglich bleibt kein Platz mehr übrig, um etwas Älteres aus dem Repertoire zurückzuholen. Außer, wir würden ein Jahresprogramm bloß mit Wiederaufnahmen bestreiten ... (lacht)

Wie viele Aufführungen stehen der Tanzsparte jährlich zu?

Wir haben mit 25 Vorstellungen angefangen. Mittlerweile geben wir 50 pro Saison, darunter sehr ambitionierte Produktionen. Dafür musste ich hart kämpfen. Dieser Status quo funktioniert gut. Natürlich könnten wir noch mehr spielen, aber die anderen Sparten geben uns den Raum dafür verständlicherweise nicht ab. Der einzige Schritt weiter vorwärts, den ich nach Ablauf der nächsten fünf Jahren tun könnte, ist woanders hinzugehen. Oder mehr Bezahlung bzw. Budget zu fordern … Hier in Nürnberg haben wir die Turmspitze erreicht. Größer kann die Kompanie nicht mehr werden, und auch bei der Anzahl der Produktionen und Aufführungen sind die Kapazitäten bis zum Limit ausgeschöpft.

Gibt das Staatstheater Nürnberg Ballett auch Gastspiele?

Ich habe versucht, mit meiner Kompanie auf Tournee zu gehen. Doch da wir Staatstheater sind, ist das sehr schwierig – und kompliziert, weil wir dann nicht für unser Publikum vor Ort spielen können. Bislang waren alle Angebote nicht realisierbar. Durch Gastspiele internationaler zu werden, ist dennoch etwas, dass wir in den nächsten Jahren verbessern wollen. Allerdings sind die meisten Stücke, ihre Beleuchtung sehr aufwendig, so dass man dazu wiederum die Struktur eines veritablen Theaters braucht. Andererseits haben wir inzwischen viele Mehrteiler im Programm. Damit zu touren, das geht! Für einen kompletten Abend wie „Goldberg“ dagegen benötigt man Zeit zum Proben, für den Aufbau und für die Einrichtung der Beleuchtung. Diese Möglichkeit besteht in vielen Häusern einfach nicht.

Stattdessen bist Du als Choreograf international tätig und holst Deine anderswo uraufgeführten Werke später nach Nürnberg.

Du weißt, wie ambitioniert ich bin. Nächstes Mal soll Hofesh Shechter ein neues Stück für uns kreieren. Oder Marco Goecke. Oder Paul Lightfoot & Sol Leon, die 2024 zu uns kommen werden. Ein Ziel, für das wir das entsprechende Budget benötigen, denn es kostet eine Menge Geld, wenn Starchoreografen viel von ihrer Zeit in unsere Kompanie investieren sollen. Die Reputation dazu haben wir mittlerweile. Man respektiert und schätzt uns sehr. Glücklicherweise kommen meine eigenen Arbeiten auch außerhalb sehr gut an. Erfolge, die mir draußen zuteilwerden, bringe ich zurück. „Submerge“ aus Zürich und auch „Tilt“, das dieses Jahr in Hannover entstand, möchte ich in Nürnberg zeigen. So wie ich diese Spielzeit „Anthem“ hier neu herausgebracht habe – eine Choreografie, die schon gastspieltauglich für die Sao Paulo Dance Company konzipiert wurde. Im November werden Brasilianer mit dieser „Anthem“-Urfassung im benachbarten Fürth und im Veranstaltungsforum Fürstenfeldbruck zu Gast sein. Es sind gute Arbeiten, die bestens funktionieren. Sie mit meinen eigenen Leuten einzustudieren, ist immer eine riesige Freude. Und ich kann die Stücke weiterentwickeln, sie ausbauen und inhaltlich vorantreiben.

Was hat sich für Dich über die Jahre und mit neuen Tänzer*innenpersönlichkeiten in der Kompanie verändert?

Was sich verändert hat, ist meine Inspiration. Nächste Spielzeit werde ich zum Beispiel „Steppenwolf“ machen – meine eigene Vision von Hermann Hesses „Steppenwolf“. Es wird kein Handlungsstück werden, keine „straight-forward“-Interpretation des 1927 erschienenen Romans, sondern vielmehr eine Reflexion über Kunst – und das, was Kunst ist. Ich will versuchen, den Steppenwolf mit Joseph Beuys in Verbindung zu bringen – diesem Künstler, der gefragt hat, was Kunst bedeutet. Der „Steppenwolf“ eignet sich zum Fragenstellen. Schon die Geschichten, die ich in der Vergangenheit mit „Dornröschen“ oder „Romeo und Julia“ erzählt habe, waren zum Teil abstrakt. In späteren Arbeiten sind sie noch abstrakter geworden. Vergleichbar mit Picasso oder Dali, die in einer viel realistischeren Art begonnen haben, Bilder zu malen und dann ihren Weg in die Abstraktion fanden. „Steppenwolf“ wird meine eigene Reise durch Handlungen …

Dein Umgang mit Raum und Licht, der Einsatz mobiler Ausstattungselemente sowie das Zusammenspiel zwischen Solisten und Gruppen hat sich über die Jahre intensiviert oder gewandelt.

Ich versuche immer wieder, neue Wege zu finden – so auch bei „Steppenwolf“. „You have to take the risk“. Ich beziehe mich auf Musik, Handlung, Texte. Und Choreografen müssen auch mal in eine total falsche Richtung gehen, um die richtige Spur wieder zu finden. Fehler sind erlaubt, aber man sollte sie bemerken und darauf reagieren. Sobald ich denke, ich habe meine Formel gefunden – eine Gruppennummer mit tollen Lichtern, tollen Effekten, toller Musik – ist es vorbei. Keinesfalls möchte ich da landen! Man wiederholt sich, kopiert immer dieselbe Masche mit anderen Kostümen und anderer Musik, verwendet das gleiche Erfolgsrezept. Das wäre für mich das Ende! Deshalb werde ich mich bei „Steppenwolf“ fragen, was ich gerne mache – und dann genau das Gegenteil tun.

Beständige Weiterentwicklung – das zeichnet Dich als Choreografen ebenso wie deine Kompanie aus.

Ich versuche das auch in meiner Programmatik zu verwirklichen. Die kommende Spielzeit 2023/24 wird total anders als diese. In einem Doppelabend stellen wir Christophe Maillot und das Choreografenduo Léon/Lightfoot mit Signaturstücken vor – sehr ästhetische, zeitgenössische und stilistisch wunderschöne Produktionen. Etwas, das wir so noch nicht gezeigt haben. Einige der Tänzer*innen lieben solche Stücke, manche überhaupt nicht. Die bevorzugen stattdessen Hofesh Shechter, Ohad Naharin, Sharon Eyal oder Johan Inger. Aber es gehört zu meinem Job, sie dazu zu bringen, verschiedene Stile, Techniken und Handschriften zu beherrschen. Klar haben wir unsere stärkere Seite. „Shechter/Montero“ ist aktuell der Knaller – ein Mega-Erfolg. An Choreografen, denen wir viel von unserem Erfolg und tolle Stücke verdanken, bleiben wir dran! Hier ist mir Kontinuität wichtig. Dazwischen brechen wir auf, um neue Welten zu entdecken! Das ist unsere Aufgabe als Kompanie und dem Publikum gegenüber.

Damit die Tänzer*innen am Ball bleiben, ist Herausforderung das A und O?

Als choreografierender Direktor sehe ich mich auch als eine Art Kurator. Künstler wie Forsythe haben die Tanzwelt verändert. In seinem Alterswerk ist er zur Klassik zurückgekehrt – verrückt, aber warum nicht. Kylián hat sich in seinem Werk beständig verändert, Mats Ek dagegen behielt stets seine Tanzsprache bei. Jeder Weg kann funktionieren. Ich persönlich versuche, mich selbst zu ändern – in meinem Denken, bei der Wahl meiner Themen oder darin, wie ich diese anpacke. Natürlich bleibe ich mir selbst treu. Ich werde immer meinen eigenen Weg gehen. Dennoch möchte ich mich überraschen und Risiken eingehen. Das ist zugleich das Ziel und die Herausforderung.

Der Punkt, wo Du in Nürnberg am Ende bist, ist noch nicht erreicht?

Es gibt endlose Möglichkeiten für eine Kompanie, sich weiterzuentwickeln. Und so auch für mich als Choreograf, wir uns in unserer Programmatik etc. Ich folge auch keiner Linie und weigere mich, in eine Schublade gesteckt zu werden. In dem Augenblick jedoch, wo ich ins Studio gehe und beginne, die restlichen Tage zu zählen, ist Schluss. Ich muss ausgefüllt sein – auch für meine Familie.

Wo siehst Du Dich in den nächsten 15 Jahren?

Als ich hier in Nürnberg ankam, war da eine schöne, mittelgroße deutsche Stadt. In den ersten Jahren gab es für mich nur Theater, Theater, Theater. Ich habe nichts unternommen, nichts gesehen, nur gearbeitet – fast die ganzen ersten zehn Jahre. Ich habe die Kompanie aufgebaut und den Job als Ballettdirektor erst gelernt, durch Fehler und Erfolge. Es war nicht nur alles Freude. Bisweilen dachte ich, ich bin vielleicht nicht geeignet und sollte gehen. Ballettchef und Choreograf zu sein, ist ziemlich bipolar. Als Direktor musst du deine Leute schützen, sie entdecken, motivieren und aufbauen. Als Künstler im Ballettsaal folgst du deiner eigenen Stimme, deiner Sehnsucht, deinen Bedürfnissen – das ist eine wesentlich egoistischere Position. Das auszubalancieren, ein Gleichgewicht zwischen beiden Positionen zu finden, war am Anfang kompliziert. Dann habe ich gelernt, mir selber und dem Ganzen zu vertrauen. Die Tänzer*innen heute unterscheiden sich von uns damals. Das bereitet mir Freude. Es sind Menschen, die viel mehr Informationen und Kommunikation wollen. Sie müssen nicht Teil aller Entscheidungen, aber immer informiert sein. Was man in einem Stück erzählen will, soll man ihnen erklären. Wenn sie es verstehen, gehen sie mit. Meine Generation war da anders. Für uns war der Lehrer der Meister. Er hat etwas angeordnet und wir sind dem einfach gefolgt.

Du arbeitest mehr im Dialog mit deinen Interpreten als mit Dir früher selbst gearbeitet wurde?

Genau – auch als Ballettdirektor. Dann öffnen sich die Tänzer*innen. Und Tänzer*innen haben eine sehr „generous soul“. Sie arbeiten trotz Schmerz, wenig Geld und beschränkten Möglichkeiten und schenken dir täglich sieben Stunden physischer Arbeit. Das ist sehr großzügig! Ich respektiere sie und sie mich. Das ist nicht überall der Fall. Wir sind keine Familie – daran glaube ich nicht. Aber wir arbeiten fast täglich zusammen – in einer Umgebung, die höchst kreativ, motivierend und „healthy“ ist. Wenn es nicht notwendig ist, übe ich keinen Druck mehr aus. Den machen Tänzer*innen sich allein und bemühen sich um ein Maximum an Level, das sie liefern wollen. Man muss ihnen die artistische Nahrung, den Platz und die Chancen geben, die sie brauchen, um sich zu entwickeln und mit dir als Chef etwas zu kreieren.

Du hast demnächst ein erstes Opernprojekt in Aussicht. Was reizt Dich daran?

Meine Vorfreude ich riesig, denn es bedeutet für mich eine Entwicklung, auch im Tanz. Wir machen ja Oper, nur ohne Gesang. Wir erzählen Geschichten – abstrakte Geschichte mit unserem Körper. Oper ist „one of he biggest ways of communication“. Da ist alles drin: Bewegung, Visuals, Gesang, Musik – und auch Tanz. Ein Szenario zu haben, ist nur ein weiteres Instrument, eine andere Art, um mit unterschiedlichen Gattungen von Kunst zu kommunizieren.

Dafür hast Du ein Faible!

Als Kind wollte ich nicht tanzen, sondern Philosoph werden oder Psychologe. Ich habe ständig gelesen – für mich zählten nur Bücher. All das bringe ich in meine Arbeit ein, lese aber viel weniger, weil mein Sohn natürlich viel von meiner freien Zeit beansprucht. Den „Steppenwolf“ habe ich mir in der Pandemie erneut vorgenommen. Ich bin jetzt 47 Jahre alt. Das erste Mal habe ich das Buch mit 12 oder 13 Jahren gelesen. Da überwog das romantische, das Künstlertum. Jetzt bin ich 47, die Eltern des Steppenwolfs sind ungefähr 50. Mir werden die Ansprüche bewusst. Hermann Hesse war anspruchsvoll, und einen Tick resistent. Ich erkenne auch die negative Seite des Steppenwolf-Charakters, und seines Autors. In der zweiten Hälfte meines Lebens bin ich sozusagen eine andere Person und sehe das Buch auf eine andere Weise. Ich fand, es sei die richtige Zeit für das Projekt – ein kanonisches Oeuvre der Deutschen Literatur, mit der ich respektvoll umgehen will. Und deutlich! Hesse selbst war ja so etwas wie der Steppenwolf: zurückgezogen, ein Workaholic, eine komplizierte Person und faszinierend zugleich. Im Zuge meiner Recherchen finde ich meinen Zugang – was nicht heißt, dass ich die dann so auf die Bühne bringe. Die Hälfte der Dinge, die ich lese, ist nur für mich bestimmt – „to form myself“. Ich nutze das quasi als Studienzeit. Diese dramaturgische Seite der Choreografie, die liebe und genieße ich sehr.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern