Nicht jede(r) kann jede(n) ersetzen

„Balanchine/van Manen/Forsythe“ beim Bayerischen Staatsballett

Stuttgart, 13/02/2008

Die Wiederaufnahme der seit längerer Zeit ruhenden Stücke „Brahms-Schönberg Quartett“, „Große Fuge“ und „Enemy in the Figure“, so erstmals in dem nach ihren Choreografen betitelten Dreiteiler „Balanchine/van Manen/Forsythe“ nacheinander präsentiert, versprach groß dimensionierten Tanz erster Qualität. Gleichzeitig musste sich eine weitgehend neue Tänzergeneration bewähren.

Musikalisch stimmte alles. Bei „Brahms-Schönberg“ klang das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Michael Schmidtsdorff vollvolumig und getragen, für geforderte Dynamisierungen jederzeit hellwach. Die vier männlichen Tänzer nahmen im Allegro mit synchroner Eleganz gleich für sich ein. Stephanie Hancox verkörperte als zweite Solistin dieses Eingangssatzes noch nicht den Zauber ihrer Vorgängerin Sherelle Charge, tanzte aber schon anmutig und technisch überzeugend. Suzannah Zahradniková/Lukás Slavický schmiegten sich präzise in die Musik ein, tanzten starke Variationen und waren als Paar mit Akzenten freudiger Erwartung einander zugewandt.

Auch das weibliche Corps ertanzte über die lichte Abstraktion hinaus eine Stimmung festlicher Eleganz. Im folgenden Intermezzo erzielten allerdings die langgliedrige, schön springende Daria Sukhorukova und ihr unauffälliger Partner Maxim Chashchegorov – Lucia Lacarra und Cyril Pierre auf Gastspielreise – kaum eine Spur von Ausstrahlung und nur zögerlichen Beifall. Getragenheit, Musikalität und Ausdruckskraft kehrten zurück beim Auftritt Alen Bottainis mit Ivy Amista, die Corps und Publikum neu zu inspirieren schienen. Im Andante con moto mit seiner fußschnellen Variation für die Solistin zeigte sich, dass Ivy Amista aus ihrer technischen Sicherheit auch mehr und mehr darstellerisches Kapital schlägt. Souveränität erster Güte bot zwar nur Alen Bottaini, was von kundigen Zuschauern mit demonstrativem Zwischenapplaus bedacht wurde. Festzuhalten bleibt aber auch, dass die choreografischen Linien und Positionen aller erfreulich präzise einstudiert waren.

Im abschließenden Rondo alla Zingarese ließen auch Roberta Fernandes und Marlon Dino zuweilen wehmütig an ihre Vorgänger denken. Zwar setzte sich Roberta Fernandes voll ein, aber das Neckische, das sie charmant einbrachte, verlor durch technische Unsicherheiten und die fehlende Brillanz einer Lisa-Maree Cullum (verletzt) einiges. Auch Marlon Dino reichte nicht an das folkloristische Temperament Kirill Melnikovs (Karriereende) heran. Noch wirkte zu vieles äußerlich, auf seine imposante Größe aufgebaut, doch der ambitionierte junge Solist zeigte in manchen Momenten auch schon Ansätze zum feurigen Vollbluttänzer.

Dann Hans van Manens „Große Fuge“ in der kühlen Eleganz des Bühnenbilds von Jean-Paul Vroom: Wieder begannen vier Männer, kraftstrotzend und sehr tänzerisch zugleich, absolut synchron, elegant, gut einstudiert, unter ihnen Norbert Graf, der mit 18-jähriger künstlerischer Erfahrung in diesem Stück die Attitude der energetisch gefüllten Form am besten traf. Bei den anfangs natürlich weniger präsenten Frauen erwies sich erneut Suzannah Zahradniková als Solistin, die mit glänzender Technik auch immer mehr Ausstrahlung gewinnt. Tigran Mikayelyan beeindruckte im Pas de deux neben Roberta Fernandes nicht nur mit den blinkenden Akzenten in seinen Pirouetten, und neben der hellwachen Ivy Amista agierte Lukas Slavický energisch, doch ohne letzte Eleganz. Beim dritten Paar setzte Séverine Ferrolier neben Javier Amo Gonzales die darstellerischen Akzente, aus denen das van-Manen-spezifische Suspense zwischen den Geschlechtern resultiert, während Norbert Graf und Suzannah Zahradniková am homogensten die Gleichwertigkeit von Frau und Mann manifestierten. – Im erneuten Wechsel der Paare beeindruckten wieder einmal van Manens wunderbare Übergänge, in denen souveräne Eleganz mitschwang. Als die Männer dann ihre langen Beinkleider ablegten, wurde seitens der Frauen das Humorvolle etwas verschenkt, doch im Unisono der vier Paare gemeinsam viel an Spannung zurückgewonnen.

Spielplantechnisch klug platziert, wurde dieses zweite neoklassische Ballett des Abends, dessen hochmusikalische Abstraktion mit einem faszinierenden Humanismus unterlegt ist, zur idealen Vorbereitung auf das nächste Werk van Manens. Streng formal, elegant, gesammelt und dezent weckte es die Vorfreude auf „Adagio-Hammerklavier“, seinem zweiten Beethoven-Ballett, das in der Ballettfestwoche im Nationaltheater bald Premiere hat. – Heute begann der Vorverkauf! Bei „Enemy in the Figure”, dem nun isoliert aufgeführten Mittelstück aus William Forsythes „Limb´s Theorem“, saß ich zu weit links, um die linke Bühnenseite sehen zu können, die für das Tanzgeschehen dieses Stücks aber so enorm wichtig ist, dass ich darüber eigentlich nichts sagen kann. Eine neue Erfahrung, für die Zuschauer am linken Saum ein Problem ist, während die anderen offenbar begeistert waren.


Besprochene Vorstellung: 10. Februar. Nächste Vorstellungen: 25. und 27. Februar

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