„Jewels“ von George Balanchine, Tanz: Ensemble

Stumpfer Glanz

Auftakt der Saison 2018/2019 am Bayerischen Staatsballett

Mit „Jewels“, dem ersten abendfüllenden abstrakten Ballett in der Geschichte des Tanzes, feierte der 63-jährige George Balanchine 1967 seine drei Lebensstationen. Am Bayerischen Staatsballett war es jedoch kein charismatisches Kunst-Manifest.

München, 29/10/2018

Mit „Jewels“, dem ersten abendfüllenden abstrakten Ballett in der Geschichte des Tanzes, feierte der 63-jährige George Balanchine 1967 seine drei Lebensstationen und reflektierte dabei die Entwicklung des Tanzes in drei Kulturräumen, die ihn prägten oder die er prägte. Das vorzügliche Programmheft informiert mit Originalbeiträgen von Judith Mackrell und Pravu Mazumdar grundlegend über das dreiteilige Stück, dessen Kontext sowie über einige Fragen, die es aufwirft. Hätte man doch dieses Wissen auf die Tanzenden übertragen!

Die prachtvolle Auslage eines New Yorker Top-Juweliers soll Balanchine dazu inspiriert haben, Formationen oder Strukturen von Edelsteinen zu choreografieren. Dreimal öffnete sich der Vorhang, jeweils begleitet von einem hörbaren „Ah!“ ob der originalen Bühnenbilder von Peter Harvey, die der Größe des Nationaltheaters perfekt angepasst waren, und ob des Ensembles in Barbara Karinskas edelsteinbesetzten Kostümen.

„Jewels“ begann zu Musik von Gabriel Fauré in sanftem Smaragdgrün mit der Hommage an Paris als Ursprungsort des romantischen Balletts. Vor zehn Tänzerinnen in langen Tutus tanzten zwei Solopaare und ein Trio. Prisca Zeisel bildete mit lyrischer Sammlung ein ruhiges Zentrum und wurde von Emilio Pavan gut, aber nicht über jede Mühe erhaben gepartnert. Ihr Trippeln auf Spitze mit wechselnden Port de bras und Epaulements war gefällig, ebenso wie die Hebungen mit ihren Verzögerungen oder schwungvollen Richtungswechseln im zweiten Pas de deux. Gefällig tanzte auch Jeanette Kakareka an der Seite von Henry Grey mit hohen Beinen und langgliedriger Eleganz in ihrem zweiten Pas de deux mit interessant gestaffelter Bewegungsführung und intensiver Ausstrahlung. Am meisten überzeugte das Trio von Maria Chiara Bono, Vera Segova und Dmitrii Vyskubenko mit synchroner Geschlossenheit. Insgesamt vermisste man aber an diesem ersten Teil Balanchines Vitalität, es fehlten Akzente und mit der Ambiguität zwischen erinnerter Romantik und der Modernität eines Werks des 20. Jahrhunderts auch der geistige Reiz.

Mit „Rubies“ wechselte das Stück in die rubinrote, sexfreudige Lebensfülle Amerikas zu Strawinskys jazzigem „Capriccio für Klavier und Orchester“. Acht Tänzerinnen in kurzen roten Kleidchen glänzten homogen und synchron mit vier Tänzern, doch wie alle Akzente fiel auch das Kippen der verführerisch schräg gestellten Hüften zu schwach aus. Das galt insbesondere für die Solistin Prisca Zeisel, die als vielschichtiges Naturwunder – wer Diana Vishnovas Gastspiel sah, weiß, was gemeint ist – mit ihrer Attacke alle in Bann schlagen sollte, aber lediglich solide ihren Part tanzte. Als Solopaar in „Rubies“ tanzten Nancy Osbaldeston als Gast vom Royal Ballet of Flanders und Osiel Gouneo zwar virtuos, doch ohne klar den gewitzten Wettstreit ihrer Partnerbeziehung darzustellen. Angesichts von viel Laisser-faire war ich weniger fasziniert als mit dem Gedanken beschäftigt, ob nicht energischer ausgreifende Schritte das Ganze deutlicher akzentuieren und ihm so die gebührende Aussagekraft verleihen könnte.

Schließlich Balanchines Rückkehr in seine erste Heimat, das russische Zarenreich mit dessen klassischem Ballettrepertoire von Marius Petipa: In „Diamonds“ tanzten vier korrespondierende Dreiergruppen von Diamantenmädchen in halblangen, weißen Tutus mit ihren Walzerschritten zu Peter Tschaikowskys „Sinfonie Nr. 3 D-Dur“ exakt einen harmonischen, rein klassischen Auftakt. Im Zentrum stand Ksenia Ryzhkova mit dem kurzfristig eingesprungenen Alexey Popov vor weiteren je vier Solistinnen und Solisten. Statt an Odettes märchenhafte Verzauberung zu erinnern, begann ihr Pas de deux mit hölzerner Unsicherheit, wurde aber hin und wieder von Ryzhkova zu flüchtigen Momenten hoher Tanzkunst vergrößert. Mit dezentem Charme gewann auch Popov am Ende, auch als versierter Tänzer. Doch das Ganze wirkte in seiner Erinnerung an die unwiderruflich der Vergangenheit angehörende Zeit zaristischer Pracht erst majestätisch, als im Finale alle in langsamer Schrittfolge elegant und homogen ihre beglückte Polonaise zelebrierten, allerdings ohne dass der Grund für deren Glück zu erkennen gewesen wäre.

Gerade abstrakte Ballette brauchen charismatische Tänzerpersönlichkeiten, um nie nichtssagend zu wirken. Wo diese gut vorbereitet zur Verfügung stehen, kann es zur Offenbarung, zu einem beglückenden Einklang von Musik, tänzerisch stilsicherer Vollendung im Ausdruck ihres Gehalts und dem Mitschwingen des geistigen Subtextes kommen. Balanchines „Jewels“ und die vom Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Robert Reimer kraftvoll intonierten Kompositionen hatten dazu das Potenzial, das Bayerische Staatsballett zumindest an diesem Abend nicht. Wohl auch deshalb ebbte der anfänglich freudige Schlussapplaus recht bald ab.

 

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