Forsch, Forscher, Forsythe

Choreografische Objekte, Installationen und Videos in der Ursula Blickle-Stiftung Kraichtal

Kraichtal-Unteröwisheim, 28/05/2008

Als das neoklassische Ballett in den 60er und 70er Jahren zu stagnieren drohte, kam die Vitalspritze namens William Forsythe. Dem konservativen Stuttgarter Publikum nicht geheuer, ließ sich der forsche Amerikaner, Jahrgang 1949, im Orwelljahr 1984 in Frankfurt nieder. Seither schreibt er Ballettgeschichte. Vom etablierten Theaterbetrieb hat er sich mittlerweile verabschiedet und segelt jetzt unter der Flagge „Forsythe Company“ zwischen Amsterdam und Zürich, zwischen Paris, Istanbul, Toronto – und er experimentiert freischaffend in Dresden-Hellerau.

In der Ausstellung „Suspense“ zeigt der Ballett-Pionier gebündelt, was er anderorts vereinzelt wagte: eine Reihe choreografischer Objekte, Installationen und Filme. „Solo“ das Video aus dem Jahr 1997, in dem Forsythe seinen innovativen Bewegungsfundus erforscht und selbst vorführt, stehen im Dialog mit jüngeren Arbeiten. Beispielsweise „Human Writes“ (2005), Kohlezeichnungen, die eine Interaktion von Tänzern und Publikum dokumentieren, beim Versuch gemeinsam Artikel der Menschenrechte aufzuschreiben, dabei aber gestört und behindert wurden. Hintergründig wie seine Tanzstücktitel – erinnert sei an „Impressing the Czar“ oder „The Loss of Small Detail“ - sind Adaptionen jüngerer Arbeiten. Dazu gehört die „Monster Partitur“ (2006), in der Forsythe den frühen Krebstod seiner Frau thematisiert. Oder das Spiegelkabinett „The Defenders Part 1“ (2007). Inspiriert von einem Zitat Blaise Pascals, hat er den einstigen Ballettsaal - eine Spiegelwand zeugt noch davon - mit leuchtend rotem Teppich ausgekleidet und darin viele, sich selbst reflektierende, schwenkbare Spiegel arrangiert. Das Spiegellabyrinth ist eine fast parodistische Zuspitzung von Starkult und Narzissmus.

Was bringt den Weltklasse-Choreografen nach Kraichtal-Unteröwisheim? Eine alte Mühle, genauer: die Ursula Blickle Stiftung. Seit 1991 ein Geheimtipp der Kunstszene und ein Kleinod deutschen Mäzenatentums. „Ich schätze vor allem den lebendigen, energiegeladenen Kontakt mit Künstlern und Kuratoren und ihre Fähigkeit, die Räume der alten Mühle neu zu entdecken“ erläutert die Stifterin Ursula Blickle das Konzept. Spannend, brandneu und den Räumen auf den Leib geschneidert, das ist die über drei Etagen reichende „Gamelan Schleife“ (in Kollaboration mit Dietrich Krüger) und das Relief „Fersentanz“, altarähnlich im Obergeschoß installiert. Die Videos „Campaign 2008“ (Video: Markus Weisbeck), zu dem Forsythe seine Tänzerinnen und Tänzer mit ins Boot geholt hat, sowie „Bookmaking“ und „Suspense“ (Kamera: Dietrich Krüger) sind Indiz für einen Kurswechsel, persönlicher und gleichzeitig deutlich politischer denn je. William Forsythe ist bei William Forsythe angekommen.

Info: „William Forsythe — Suspense“ bis 29.Juni in der Ursula Blickle Stiftung Kraichtal-Unteröwisheim, Öffnungszeiten mittwochs von 14 bis 17 Uhr, sonntags von 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung
Link: www.ursula-blickle-stiftung.de
 

 

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