Ballett-Leckerli mit genmanipulierten zeitgenössischen Zutaten

Richard Wherlock beschert den Baslern „A Swan Lake“

oe
Basel, 20/01/2008

Wenigstens behauptet er nicht, seinem Publikum „The Swan Lake“ zu offerieren – sondern, wenn es denn schon ein englischer Titel sein muss, „A Swan Lake“ – einer also von vielen – allzu vielen? Warum dann nicht gleich „Lebedinoje osero“, wie der Tschaikowsky-Klassiker auf dem Uraufführungszettel hieß? Doch mit dem historischen Bewusstsein scheint es bei Richard Wherlock, Chef des Basler Balletts, ohnehin nicht weit her zu sein. Denn kann man heute in Basel einen neuen „Schwanensee“ präsentieren, ohne daran zu erinnern, dass mit „Schwanensee“ eins der ruhmvollsten Kapitel der Basler Ballettgeschichte begann? Doch, man kann, denn keiner, der sich bei dieser Gelegenheit daran erinnerte, dass die Mitte der fünfziger Jahre beginnende Orlikowsky-Ära die Stadt in einen regelrechten Ballett-Rausch versetzte – keiner im Publikum und offenbar auch kein Kritiker (von denen offenbar keiner damals bereits geboren war – so wenig wie Wherlock, der 1958 im schönen Bristol das Licht der Welt erblickte).

Orlikowsky und Basel – war da mal was? Und ob! Eine volle, seitenlange Spalte räumt ein 1972 erschienenes Ballettlexikon dem aus der Ukraine stammenden Ballettmann ein, der damals weit über Basel hinaus Furore machte. Tempi passati! Ein neuer „Schwanensee“ denn also! Ob der sich wohl ebenso lange auf dem Spielplan hält wie der alte von Orlikowsky? Der hat die Basler gelehrt, was klassisches Ballett ist – klassisches Ballett altrussischer Schule. Und hat sie so zu regelrechten – nicht Ballettfans, sondern Ballettomanen gemacht. Das war noch im alten Stadttheater, einer ziemlichen Bruchbude. Dann hat sie Spoerli im funkelnagelneuen Theater an das klassische Ballett zeitgenössischer, mehr amerikanischer Prägung (inklusive Balanchine) herangeführt (übrigens mit einem blutjungen Spund namens Martin Schläpfer), gefolgt von Youri Vámos und seiner Klassik aus dem posthabsburger Balkan-Erbe.

Na ja, und dann gab es das Tanztheater-Intermezzo von Joachim Schlömer. Das behagte ihnen weniger, und so holten sie sich den an Ostberlins Komischer Oper vor sich hin dümpelnden Wherlock aus der Kölner Tanz-Forums Schule. Und mit dem haben sie nun seit 2002 zu leben sich angewöhnt – mit ihm und seinem Klassik-Modern-Amalgan auf halber Spitze, bevorzugt im modischen Gender-Mix. Wie auch in diesem „A Swan Lake“ mit seinen weiblichen und männlichen Schwänen à la Mats Ek, Matthew Bourne und Stephan Thoss – mit einer dramaturgischen Anleihe bei den Brüdern Grimm und ihrem Märchen „Die sechs Schwäne“ (das sind die verzauberten Brüder der emanzipatorisch ambitionierten Prinzessin), musikalisch arrangiert nach dem Muster der „Echternacher Springprozession“, was vermutlich Tschaikowsky in seinem Grabe multipirouettieren lässt: ein Basler Ballett-Leckerli mit mancherlei genmanipulierten zeitgenössischen Zutaten – dazu politisch korrekt (Rotbart als machthungriger Intrigant). Alles drin also, was die Amerikaner „Euro Trash“ nennen! Und das lieben die Basler und applaudierten üppig der vierten Vorstellung der Neuproduktion an diesem Sonntagabend. Und so sahen sich denn die Tänzer verdientermaßen reichlich belohnt für ihre korrekt absolvierte Dienstleistung. Über die Interessierte Näheres in der Kritiken-Spalte des „tanznetz.de“ vom 13. Januar nachlesen können.

 

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