Der totale Ballett-Gau

Ein Nachtrag zu Richard Wherlocks "A Swan Lake"

oe
Basel, 22/01/2008

Dass Richard Wherlock nicht gerade einer der musikalischsten Choreografen ist, wissen wir seit langem (er ist in dieser Hinsicht der Zwillingsbruder von Jacopo Godani). Schon gar nicht, wenn man am Vorabend die neue DVD der „Sylvia“-Produktion des Royal Ballet mit Darcey Bussell und Roberto Bolle gesehen hat: ein Modell Ashtonscher Musikalität. Aber das rein handwerkliche Manko der Basler „A Swan Lake“-Einstudierung verblüffte denn doch einigermaßen. So dass man sich fragt, wo denn die Aufsichtsbehörden des Theaters (sprich: die Intendanz und die Dramaturgie) ihre Augen gehabt haben mögen, als sie in den Proben dieses Desaster auf sich zukommen sahen.

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll bei den Defiziten dieser Produktion, die alle Aussichten hat, als die negativste Klassikereinstudierung der laufenden Spielzeit registriert zu werden. Das beginnt gleich bei den neun Schwänen des Vorspiels, die in puncto Koordination aus neun verschiedenen Schulen zu kommen scheinen. Das setzt sich fort in den sechs Jungen, die angeblich die verwaisten Brüder der allein vor sich hin wuselnden Prinzessin sind, mit ihren Kostümen, deren Leibchen immer hochrutschen, wenn sie die Arme heben und einen Streifen nackte Haut zeigen. Und die wohl von verschiedenen Vätern stammen – zumindest der immer Kobolz schießende kleinwüchsige Suppenkasper.

Und so geht das fort – mit den beiläufigen Auftritten des Hofkanzlers, der, so ganz und gar nicht der dämonische Intrigant, als der er in der Inhaltsangabe fungiert, immer mal wieder erscheint, wenn Wherlock ihn braucht, ohne jegliche dramaturgische Legitimation. Wie denn überhaupt die Auftritte beliebig arrangiert erscheinen, aus dem Nichts heraus (wie auch die Abgänge), bloß, weil die Musik gerade zu Ende ist, oder neu beginnt – jedes Mal ein fürchterlicher musikalischer Clash für alle, die die wohl kalkulierte Formarchitektur Tschaikowskys kennen. Das geht so weit, dass man jedes Mal bangt, was für ein nicht stimmender Anschluss denn nun als nächste Nummer folgt (ein Jammer, denn die musikalische Interpretation der Partitur Tschaikowskys durch den international erfahrenen David Garforth und das Sinfonieorchester Basel ist der einzige Lichtblick der Aufführung – am besten, man schließt die Augen).

Und so geht‘s weiter. Vor allem stören die zahllosen dramaturgisch unmotivierten Auftritte der handelnden Personen. Völlig schleierhaft: der Auftritt der toten Mutter, wenn man die Inhaltsangabe nicht vorher gelesen hat – sie wirkt wie die Oberin einer Mädchenpensionatsklasse, und überhaupt nicht klar wird, was sie der Prinzessin da erzählt. Hilflos auch die Erscheinung des lediglich mit einem weißen Slip bekleideten Prinzen-Schwans im Techtelmechtel, wenn die Prinzessin den Avancen des schwarzen Hofkanzler-Sohns zu erliegen droht. Unmöglich die plötzliche Verwandlung der Brüder der Prinzessin in schwarze Schwäne. Noch unmöglicher ihre Rückverwandlung durch irgendein nicht verständliches Ritual in ihre menschliche Gestalt. Wie auch die rückverwandelte Metamorphose des weißen Slip-Schwan-Prinzen, dem zum Schluss ein Hemd übergestülpt wird.

Die neue „A Swan Lake“-Produktion des Basler Balletts ist ein Unglücksfall der Ballettszene, wie man ihn in diesem Ausmaß nicht für möglich gehalten hätte. Und schon gar nicht in einer Stadt, die bei einem Orlikowsky und Spoerli in die Ballettlehre gegangen ist. Auch wenn das schon eine Weile her ist.

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