Zum Vierundzwanzigsten

Zwei Uraufführungen und ein Klassiker im neuen Mainzer Ballettprogramm

oe
Mainz, 16/05/2007

Ob sie wohl noch die Dreißig-Zielmarke erreichen, Martin Schläpfer und das Tänzer-Fähnlein seiner 22 Aufrechten? Zwei Jahre haben sie noch Zeit bis zum Ende der viel bestaunten Mainzer Schläpfer-Ballettära. Für die nächste Spielzeit sind wiederum drei Premieren angekündigt, und 2008/09 dürften es dann zum Finale wohl nochmals drei sein – macht alles in allem dreißig! Aber darauf kommt es letzten Endes gar nicht an. Denn in Mainz waren sie angetreten unter dem Motto: Der Weg ist das Ziel! Und auf dem werden sie dann im Sommer 2009 in zehn Spielzeiten eine beachtliche Strecke zurückgelegt haben.

An diesem Abend sind sie also bei der 24. Station angekommen und haben auf dem letzten Abschnitt seit März 2007 zwei Uraufführungen, eine vom Chef höchstpersönlich und eine von Eric Oberdorff, dem choreografischen Gast aus Nizza, erarbeitet – dazu als Wiederaufnahme einen Klassiker von 1932, den „Grünen Tisch“ von Kurt Jooss, der zwei Tage vor dem Treffen zwischen Russland und der EU in Samara aktueller als je zuvor erschien (so dass man sich fragte, ob unter den Masken der um den Tisch versammelten Diplomaten möglicherweise Putin, Merkel und Sarkozy verborgen seien).

Das Ergebnis diesmal: eher gemixt! Ich muss gestehen, von Oberdorffs „Little Voices in My Head“ zu einer elektronischen Auftragskomposition von Anthony Rouchier nur die beiden zu Beginn auf einer Schaukel sitzenden Tänzerinnen und einen silbern glitzernden durchlässigen Breitwandvorhang in Erinnerung behalten zu haben, dazu noch ein paar offenbar aleatorisch arrangierte Video-Sequenzen – hingegen nicht auch nur eine einzige tänzerische Passage. Weil ich zu sehr auf das ständige Gequassel-Geriesel konzentriert war, das ich sowieso nicht verstanden habe? Für mich die vergessenswerteste Kreation der langsam zu Ende gehenden Spielzeit!

Da war Schläpfers „Obelisco“, benannt nach einer Kammermusik von Salvatore Sciarrino, mit sechs weiteren Stücken von Rickie Lee Jones, Schubert, Scarlatti, Mozart, Scelsi und Heuberger, doch von anderem Kaliber – wenn auch die musikalische Echternacher Springprozession etliche akustische Magenbeschwerden verursachte. Schläpfer will den Titel als eine „Art Achse“ verstanden wissen, „um die sieben Musiken aus unterschiedlichsten Zeiten und Genres wie Planeten kreisen“. Die Tänzer als Kosmonauten also, in Schläppchen, barfuß, auf Spitze und in High Heels – als Ensemble, als Pas de quatre, als Solo und als Duo (Pas de deux mag man diesen etwas lahmen Unisex-Nightclub-Akt nicht nennen).

Das ist zumindest sehr abwechslungsreich, auch in den Tempi zwischen Slow Motion (Bogdan Nicula als Magier der Langsamkeit) und Prestissimo (drei Paare, die wie ein Tornado über die Bühne preschen) – und einem höchst beeindruckenden Solo auf Spitze (Marlúcia do Amaral als Zelebrantin des Pas de bourrée). „Die Welten ändern sich, doch es bleiben ungeahnte Beziehungen, ein Kreisen um eine Achse, ein Schweben über den Boden, voller Poesie, nächtlicher Schönheit, traumverlorener Trance, ein vertikales Verbundensein in der Sehnsucht nach dem Paradiesischen.“ Na dann träumt mal noch schön in den nächsten zwei Jahren! „Der Grüne Tisch“ holt einen dann schon rabiat in die Gegenwart zurück – nicht nur in die Vergangenheit von 1932, sondern, aufgeladen von den Mainzer Tänzern (wahrlich keine Mainzelmännchen!) mit dem Espressivo der Leiderfahrung von Gaza, Dafur und dem Hindukusch und dem wie ein Sendbote der Apokalypse einherstampfenden Sensenmann Jörg Weinöhl unmittelbar ins Jahr sieben nach der Jahrhundertwende.

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