Silberhochzeit in der rheinland-pfälzischen Ballettmetropole

Neue Choreografien von Martin Schläpfer und Christopher Bruce

oe
Mainz, 21/12/2007

Wozu normale Ehepaare ein Vierteljahrhundert brauchen, das hat Martin Schläpfer beim ballettmainz locker in acht Jahren geschafft. Und wenn ich auch die Nummerierung seiner Programme für eine Marotte halte (von der ich hoffe, dass er sie in Düsseldorf nicht weiterführen wird): publikumsabschreckend wirkt sie offenbar nicht. Drei Abende vor dem Weihnachtsfest ist das Kleine Haus des Staatstheaters in dieser zehnten Vorstellung des neuen Ballettprogramms seit seiner Premiere am 8. November (siehe Jochen Schmidts tanznetz-Kritik vom 10.11.) jedenfalls rappelvoll – und die Stimmung im Haus so, als ob die Leute gleich jubelnd in den Chor ausbrechen wollten: „Jauchzet! Frohlocket!“

Sie hätten aber auch allen Anlass dazu, denn mit seinem „Programm XXV“ hat Schläpfer seine Mainzer silberne und goldene Hochzeit simultan gefeiert. Und so wird man denn seiner jüngsten, schlicht „3“ betitelten Kreation bestätigen können, dass sie eine wahre Goldmine der zeitgenössischen Choreografie bietet. Wenn in verschiedenen Kritiken auf ihre Verwandtschaft mit Balanchines „Agon“ hingewiesen wurde, so hätte sie nicht termingerechter stattfinden können, jährt sich doch in diesen Wochen die Uraufführung von Strawinsky-Balanchines „Agon“ zum fünfzigsten Male. Tatsächlich kann man die Kreation von „3“ als eine Fortschreibung der von „Agon“ ausgehenden Entwicklung ins 21. Jahrhundert bezeichnen.

Es ist eine ungeheuer reiche Choreografie für zehn Tänzerinnen und acht Tänzer, und die 3 ihres Titels bezieht sich auf die dritte Zusammenarbeit Schläpfers mit dem Komponisten, Cellisten, Elektroakustiker und Sänger Paul Pavey, der als sein eigener Interpret auf der Bühne mitwirkt. Schick sehen sie aus, die Tänzerinnen und Tänzer in ihren von Catherine Voeffrey entworfenen Kostümen mit den knapp sitzenden Slips und den netzartigen Tops, die sie wie für eine Inszenierung von „Penthesilea“ erscheinen lassen – moderne Amazonen und Olympioniken. Was ihnen die Choreografie zusätzlich zu ihrer klassisch-akademischen Virtuosität zumutet, ist geradezu abenteuerlich, erfordert nicht nur akrobatisch-artistische Fähigkeiten, sondern auch alle möglichen Bodenfigurationen. Und beispielsweise eine höchst originelle Spitzentechnik, die sich gleichsam in den Boden einbohrt, ihn behämmert (ganz von fern an das Gehämmere des Flamenco erinnernd).

Faszinierend ist nicht zuletzt, wie die Choreografie von dem ganzen Körper Besitz ergreift, auch die Bauchmuskeln einbezieht, sich in den Gesichtsminen fortsetzt und in den Fingerspitzen ausläuft. Es ist eine Totalchoreografie, die von den Mainzer Tänzern brillant realisiert wird, die, punktartig herausgeleuchet von Stefan Bauer, konturenscharf in den nachtschwarzen Raum projiziert wird. Das wirkt wie ein mechanisches Getriebe, hat indessen überhaupt nichts Mechanisches an sich, sondern ist belebt bin in die letzte Fiber des Körpers. Es erzählt keine Geschichte, deutet keine Thematik an. Man registriert zusammenhanglos scheinende Bewegungsabbreviaturen, die kurz aufblitzen und wieder abreißen. Und die doch immer wieder humoristische Pointen setzen, so dass man fortgesetzt schmunzelt.

Die Mainzer Tänzer führen das in einer Präzision aus, wie wenn sie in einer Schweizer Uhrenfabrik speziell dafür trainiert worden seien. Vielleicht hat es ja doch auch mit Schläpfers Schweizer Herkunft zu tun. Ich kenne jedenfalls keine Kompanie, die Vergleichbares bietet. Und nach der Pause gibt es dann noch einen neuen Christopher Bruce, überhaupt erst seine zweite Kreation für eine deutsche Kompanie, die er Heidrun Schwaarz gewidmet hat, die ihn so oft nach Krefeld/Mönchengladbach eingeladen hat. Ein schönes Zeichen für eine Loyalität über den Tod hinaus, dieser „Dance at the Crossroads“ für sieben Tänzer zu einer Musik der schottisch-irischen Band The Waterboys, die nun allerdings ganz und gar nicht wässrig klingt, sondern eher bodenständig-folklorehaft. Wie sie Bruce auch in seinen frühen Balletten verschiedentlich verwendet hat. Und wie früher, so handelt sein „Dance at the Crossroads“ von starken Frauen und Männern und ihren Gefühlen für einander. Es sind erdhaft verwurzelte Tänze, in denen die Mainzer ihr freundschaftlich-kollegiales Zusammengehörigkeitsgefühl demonstrieren. Ist schon erstaunlich, was da in acht Jahren in der rheinland-pfälzischen Metropole herangewachsen ist!

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