Dresden als Chance

Ein Gespräch mit Dmitry Semionov, dem Ersten Solisten des SemperOper Balletts

Berlin, 23/02/2007

Zu Anfang dieser Spielzeit kam Dmitry Semionov vom Mariinsky-Ballett aus St. Petersburg nach Dresden, als einer der Ersten Solisten des neuen SemperOper Balletts unter Aaron Watkin. Morgen und übermorgen gastiert er in Berlin beim ersten gemeinsamen Abend des Staatsballetts mit dem Dresden SemperOper Ballett, der im Rahmen des Festivals CONTEXT #4 im Hebbel am Ufer stattfindet. Hartmut Regitz sprach mit dem 25-jährigen Russen, dessen Schwester Polina Semionova im Berliner Staatsballett tanzt. 
 

Was für Gründe kann es geben, vom Mariinsky in St. Petersburg zum Dresden SemperOper Ballett zu gehen, von einer der wichtigsten Kompanien der Welt zu einer, die sich erst noch profilieren muss? Lockt der Choreograf, lockt Deutschland, lockt die Schwester? 

Sieben Jahre lang habe in diesem legendären Theater getanzt. Da kam das Superangebot aus Dresden, sozusagen während der Gründungsphase eines neuen Ensembles dabei zu sein und all die Werke eines Balanchine, Kylián, Neumeier und Scholz tanzen zu können, die mich brennend interessieren. Ich kenne Deutschland entweder von Gastspielen des Mariinsky-Balletts her oder durch Besuche bei meiner Schwester. Ich weiß, wohin ich gehe. Mit Polina habe denn auch viel über einen möglichen Wechsel nachgedacht. Ja, man könnte fast sagen, dass wir gemeinsam die Entscheidung getroffen haben. Schließlich stand sie vor einigen Jahren vor derselben Alternative – und traf, wie man heute weiß, die richtige Wahl. Warum nicht ihrem Rat vertrauen? 

Sie sprachen von der richtigen Entscheidung, die Polina seinerzeit getroffen hat. Lässt sich daraus schließen, dass Sie seinerzeit die falsche getroffen haben, als Sie von der Waganowa-Ballettakademie ins Mariinsky-Ballett überwechselten? 

Nein. Polina hat seinerzeit absolut das Richtige gemacht, als sie nach Berlin gegangen ist. Jeder Tänzer hat seinen eigenen Weg und sein eigenes Schicksal. Und deshalb ist meine Entscheidung, in St. Petersburg zu bleiben, genauso richtig gewesen. Ich bereue nichts. Und Polina hat keinen Grund, irgendetwas zu bedauern. Jeder hat das bekommen, was er haben wollte.

Sie haben, wie gesagt, sieben Jahre in St. Petersburg getanzt. Taten Sie das als Solist? 

Ich habe von Anfang an solistische Aufgaben übernommen und insofern auf der Karriereleiter einige Stufen übersprungen.

In ihren Voraussetzungen und Anfängen unterscheiden sich die Karrieren von Bruder und Schwester nicht sonderlich. Gemeinsam sind Ihnen jedenfalls die Eltern, und die haben eigentlich mit dem Ballett nichts am Hut. Da fragt man sich natürlich, was Sie beide zum Tanz gebracht hat – und wer Sie nach St. Petersburg und Polina nach Moskau. 

Meine Mutter ist Lehrerin, mein Vater Ingenieur. Sie haben uns Kinder vieles ausprobieren lassen. Aber wirklich ernstgenommen haben wir den Sport, beispielsweise den Eiskunstlauf. Beim Training, das dem der Tänzer durchaus ähnelt, hat uns sicher jemand beobachtet und davon unserer Mutter berichtet. Sie jedenfalls hat uns irgendwann auf eine Ballettschule geschickt – vielleicht weil man der Meinung war, dass wir dort besser aufgehoben wären. Ich war damals acht oder neun.

Die Mutter hat entschieden, doch wer hat die Richtung gewählt? 

Ich habe in Moskau angefangen, und ich war es, der nach St. Petersburg wollte; ich hatte mich in die Stadt und in die Schule verliebt. Vielleicht wäre ich in meiner Geburtsstadt geblieben und irgendwann beim Bolschoi gelandet, wenn nicht Petr Pestov seinerzeit nach Stuttgart abgewandert wäre. Doch so war der Lehrer, den ich in St. Petersburg gehabt habe, Vitaly Svetkov, entschieden besser als der, den ich in Moskau gehabt hätte.

Und damit der Weg ans Mariinsky vorgezeichnet. Doch Sie haben eine andere Richtung eingeschlagen, sind als Erster Solist nach Dresden gegangen – nicht zuletzt auch deshalb, um mit Choreografen Kreationen zu entwickeln, was möglicherweise in St. Petersburg nicht so oft geschieht. 

Da muss ich widersprechen. In den letzten Jahren hat sich, was die Zahl der Kreationen betrifft, viel geändert. Sicher hätte es Möglichkeiten gegeben, mit anderen Choreografen zu arbeiten. Aber das klassische Repertoire ist äußerst anspruchsvoll, und weil man mich auserkoren hat, gerade diese Stücke zu „tragen“, fühlte ich mich durchaus ausgelastet. Mit dem zeitgenössischen Repertoire betraute man dagegen eher andere Tänzer. Nicht zuletzt aus diesem Grund nehme ich Dresden als eine Chance, einmal etwas anderes auszuprobieren.

Sie haben in der kurzen Zeit „Theme and Variations“ von George Balanchine getanzt, „Petite Morte“ von Jirí Kylián, dazu die „Symphonie Nr. 2“ von Uwe Scholz, „Voluntaries“ von Glen Tetley und ein paar der großen Ballette von John Neumeier. 

Ja, und jedes steht für eine ganz spezifische körperliche Erfahrung, für eine eigene künstlerische Richtung. Sie mitzugehen, die Visionen so unterschiedlicher Choreografen überhaupt zu begreifen, ist ebenso schwierig wie stimulierend.

Eher eine intellektuelle denn eine körperliche Herausforderung? 

Kann man sagen. Ein Werk muss erst einmal verstanden werden …

... Aber wenn die Tänzer aus Russland die Ballette einmal begriffen haben, brauchen Sie keine Konkurrenz zu fürchten. Doch Sie kommen nach Deutschland, wo Ihre Schwester eine vergleichsweise einzigartige Popularität genießt, während Sie sich erst noch einen Namen schaffen müssen. Schreckt Sie das nicht? 

Im Gegenteil. Ich freue mich über die Popularität Polinas von ganzem Herzen. Das, was meine Schwester erreicht hat, ist der Traum aller. Was ich erreiche, wird die Zeit zeigen. Ich zerbreche mir darüber nicht den Kopf. Ich fühle mich nicht als Konkurrent.

Sie haben nie gemeinsam getanzt? 

Nein, aber wenn sich Polina nicht verletzt hätte, wären wir am 24./25. Februar zum ersten Mal beim Berliner Context-Festival im HAU 1 in „2 for You“ gemeinsam aufgetreten – Polina im Pas de deux aus MacMillans „Manon“, ich im Pas de deux aus „Schwanensee“ und in Kyliáns „Petite Mort“.

Sie tanzen nicht zusammen? Schließlich haben Sie den Vorzug, als Partner Polinas mit 1.90 m die richtige Größe zu haben und auch das passende Alter. 

Noch nicht. Vielleicht kommt es ja irgendwann zu einer Zusammenarbeit.


Link: www.hebbel-am-ufer.de

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