Das Dresden Semperoper Ballett formiert sich

Direktor Aaron Watkin präsentiert seine erste Spielzeit

Dresden, 12/04/2006

Immerhin 22 Seiten des über 220 Seiten mächtigen, in edles Silber gefassten Katalogs der Semperoper Dresden auf die Saison 2006/07 widmen sich der Ballettkompanie des Hauses. Die fängt nächste Spielzeit ganz neu an und heißt ab dann etwas länger Dresden Semperoper Ballett, um auch mit dem Namen des international renommierten Musentempels zu punkten. Frischen Wind will ihr designierter Direktor Aaron Sean Watkin dem unter seinem noch amtierenden Vorgänger Vladimir Derevianko eher abgeschottet arbeitenden Ensemble durch die Räume wehen lassen. Grenzen zwischen klassischen und zeitgenössischen Tanzstilen abzubauen, die Kompanie stärker im Bewusstsein der Stadt und vor allem überregional zu verankern, nennt der umtriebige Kanadier als einige seiner künstlerischen Visionen. Auf „eine starke Identität für das Dresden Semperoper Ballett“, so liest man in Katalogvorwort, möchte er sein Hauptaugenmerk legen. Den beim Het Nationale Ballet und als Gast auch beim Kirov Ballett erfolgreichen Engländer David Dawson holt er deshalb als Hauschoreografen in die Elbmetropole und werde darüber hinaus „die Suche nach innovativen Choreografen und zeitgenössischen Werken fortsetzen“.

Auch die Kompanie hat Watkin, dessen Tänzerkarriere im National Ballet of Canada startete und sich beim English National Ballet, bei Het Nationale Ballet in Amsterdam, Forsythe in Frankfurt und Nacho Duato in Madrid fortsetzte, neu formiert. Von den 50 ausgewiesenen Positionen, verstärkt durch Eleven der Palucca Schule Dresden, sind über 30 mit neu engagierten Kräften des internationalen Markts besetzt. Besonders bei seinen Ersten Solisten ist Watkin ein Coup geglückt. So verfügt er mit Bridget Breiner aus Stuttgart, Yumiko Takeshima vom Het Nationale, wo sie weiterhin gastieren wird, und Jirí Bubenícek aus Hamburg über eine erlesene Trias, die das Ensemble befeuern helfen dürfte. Die der Pariser Oper ähnliche Hierarchie aus Solisten, Halbsolisten und Coryphées bietet den Corps-Mitgliedern mannigfache Aufstiegsmöglichkeiten. Zwei Premieren kündigt die Vorschau an. Mit „Dornröschen“ in der Choreografie von Watkin nach Petipa beteiligt sich das Ballett am Nachklang der Dresdner Festtage im Juni 2007. „Wiedergeburt und Auferstehung“ vereinigt schon ab 12. November 2006 Balanchines „Thema und Variationen“, Forsythes „Enemy in the Figure“ und Dawsons Uraufführung „Das Verschwundene“ nach Musik von Franz Schubert.

Auch die übrigen Mehrteiler aus Wiederaufnahmen oder Dresdner Premieren klammern griffige Titel. So versprechen „Symphonie Nr.2“ als Reverenz an Uwe Scholz, „Petite mort“ von Kylián und, als internationaler Renner, „In the middle“ von Forsythe als Debütabend unter neuer Direktion „Liebeszaubereien“ (ab 26.8.). Tetleys „Voluntaries“, Kyliáns „Sechs Tänze“ und Watkins Fokin-Bearbeitung „Chopiniana“ firmieren unter „Himmlisch weiß“ (ab 7.2.). „Freudentänze“ (ab 26.4.) schließlich zeigt Gsovskys „Grand Pas Classique“ in Watkins Redaktion, Forsythes „Vertiginous Thrill of Exactitude“, „Vertigo Maze“ des Belgiers Stijn Celis und Dawsons Petersburger Kreation „Reverence“. Dazwischen eingestreut liegen aus dem Fokin-Abend der nach zwölf Jahren endenden Ära Derevianko Andris Liepas prächtige Rekonstruktionen „Der Feuervogel“ und „Petruschka“ (ab 13.10.) sowie die unverwüstlichen Neumeier-Weiterläufer „Ein Sommernachtstraum“ (ab 21.9.), „Der Nussknacker“ (ab 21.12.) und „Illusionen - wie Schwanensee“ (ab 10.3.).

Ob soviel Neumeier bleibt; ob wirklich, wie Voreilige vermuten, künftig Forsythe-Werke dominieren werden, auch wenn der Meister ja in Hellerau und andernorts seine Domäne haben wird; wie sich die Zusammenarbeit mit der dann ebenfalls unter kanadischer Patronage stehenden Palucca Schule Dresden und ihren durch Neubauten gewachsenen Potenzen gestalten wird; was das von Watkin, Hochschulrektor Jason Beechey und Hellerau-Intendant Udo Zimmermann gemeinsam geleitete Tanz Studio Dresden einbringen wird; und, nicht zuletzt, welche Formen des Miteinander zwischen Dresdens Ballett und der potenten, wenngleich um zehn Positionen kleineren, Scholz-geprägten Leipziger Kompanie unter Führung des Kanadiers Paul Chalmer, trotz aller profilschärfenden Bestrebungen, gefunden werden - all das wird die Zukunft zeigen. Dass Aaron Watkin bereits emsig Kontakte webt und auch um eine Lobby über Dresden hinaus wirbt, ist ein gutes Zeichen, sein gemeinsamer Geburtstag mit Noverre, der 29. April, vielleicht sogar ein verheißungsvolles Omen.
 

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