Die Tanz-Kickers aus Belo Horizonte

Im Festspielhaus zu Gast: die brasilianische Grupo Corpo

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Baden-Baden, 28/04/2006

Einen Monat vor der Fußball-Weltmeisterschaft können die Brasilianer, wo immer sie auch in diesen Wochen auftreten, mit einem Bonus rechnen. So auch in Baden-Baden, wo sie im Großen Festspielhaus mit ihrer Tanzkompanie Grupo Corpo abermals zu Gast waren. Das enthusiasmierte Publikum wäre wohl zum Schluss am liebsten mit ihnen – nicht ins Casino, sondern ins Lichtentaler Stadion gezogen.

Quasi als Reverenz ans Mozart-Jahr begannen sie diesmal mit „Missa do Orfanato“, der sogenannten „Waisenhaus-Messe“ in c-moll, KV 139, die wohl Anfang 1782 entstanden ist, als der Salzburger Knabe gerade sechzehn war. Es ist ein Werk stürmischen, jugendlichen Überschwangs. Abert attestiert ihm denn auch „opernhafte Züge“, „dramatische Gegensätze“ und ein „fast das Theatralische streifendes Gepräge“. Das hat Rodrigo Pederneiras, Chef des weit verzweigten Familienunternehmens, nicht zweimal gelesen, sondern sich fußüber in das Notengewimmel gestürzt, als handelte sich‘s um einen Ball, den es ins Mozart-Tor zu schießen gilt. Das tun die Tänzern denn auch, oder versuchen es zumindest, indem sie ihn mit tollkühnen Revoltaden, die abenteuerlichsten Kicks mit ihrem rechten Fuß ausführend, laufend gegen den Pfosten, wenn nicht gar ins Aus knallen – so dass der zentraleuropäische Schiedsrichter am Schluss nur ein unentschiedenes Null zu Null abpfiff. Spaß hat es gleichwohl gemacht, ihnen dabei zuzusehen, wie elegant sie durch die Luft segelten.

Doch so richtig iberoamerikanisch wurde es erst im zweiten Teil, bei der Deutschlandpremiere von „Lecuona“, benannt nach dem Komponisten Eduardo Lecuona (1895 – 1963), den die Kubaner als ihren Gershwin verehren. Seine Lieder und Songs bilden denn auch das musikalische Parkett, auf dem Pederneiras zwölf Paare in Duos vorführen lässt, was man unter dem Zuckerhut so unter Liebe versteht. Es handelt sich also sozusagen um ein Ballroom-Kamasutra vom Rio Grande, aufgeladen mit einer schwelenden Sexiness bis in die Fußspitzen und High Heels, glühend in der nächtlichen Finsternis. Ganz schön anmacherisch, wenn vielleicht auch reichlich lang. Am überraschendsten sind freilich die knapp angerissenen Schlüsse, die wie ein Ausrufezeichen im schwarzen Raum stehen, während das nächste Paar bereits zu seiner Kür hereinschwebt. Toll dann die Idee des Finales, wenn sich der schwarze Raum plötzlich in einen dichtdurchfluteten Spiegelsaal verwandelt, und die Paare, jetzt in strahlendem Weiß, sich selbst – und das Publikum – in einen sinnverwirrenden Walzerrausch katapultieren. Als feierten Sie bereits in einem Luxusetablissement ihren Weltmeisterschaftssieg! Link: www.grupocorpo.com.br

 

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