Staatliche Ballettschule Berlin: Investitionen in die Zukunft

Schulgala künftiger Absolventen mit Bachelorstatus

Berlin, 28/06/2006

Enger am Theaterbetrieb sollen sich Ausbildung und Gala der Staatlichen Ballettschule Berlin orientieren, versprach Gregor Seyffert bei seinem Amtsantritt als Künstlerischer Leiter, um die Studenten frühzeitig Praxisluft schnuppern zu lassen. Statt eines bunt-sammelsurischen Kaleidoskops der Stile mit Auftrittsmöglichkeiten für fast jeden Schüler nur noch wenige längere Gala-Stücke, Klassik im Verein mit einer Uraufführung. Um den Aufwand zu rechtfertigen, laufen die Programme nun, ungewöhnlich genug, über zwei Spielzeiten und gastieren vielerorts. Zeigte die Schule 2003 und 2004 das Divertissement aus „Paquita“, Birgit Scherzers Oscar-Wilde-Adaption „Der Geburtstag der Infantin“ und Robert Norths internationalen Dauerbrenner „Troy Game“, so liefen in der Lindenoper diesmal, wenngleich in teils anderer Besetzung, wie schon 2005 Akt zwei aus „Giselle“ und die Schulkreation „Die roten Schuhe“.

Als hohe Herausforderung an Stil, Technik, Allure und gleichen Atem eignet sich das Bild um Giselles selbstlose Rettung des ungetreuen Geliebten. Königin Myrtha trippelt wie schwebend auf die Szene, ihre 18 jungfräulich gestorbenen Wilis imponieren durch Kultur bis in die Reihen und Armführungen. Überzeugt von den Solo-Wilis besonders die zierliche Mihaela-Roxana Dorus, macht Kristyna Nemeckova im Titelpart durch Posengefühl und Rollenempfinden wett, was ihr der gut proportionierte, prächtig hebende Philippe Kratz, schon der vorjährige Albrecht, an positiver Routine voraus hat. Dass Jugendliche ihre Klassikerinterpretation zumeist noch nicht mit Lebenserfahrung würzen können, bleibt als Manko.

Dem hilft der zweite Teil ab. Denn Marguerite Donlons Neuschöpfung „Die roten Schuhe“ – frei nach Hans Christian Andersens als Film von 1948 so erfolgreichem Märchen – zapft am Quell kindlichen Verständnisses. In 20 Bildern erzählt sie von Karens Weg zum Tanz. Den geht sie gegen den Willen der Adoptivmutter, begegnet dabei einem ermunternden Soldaten, bezieht Mut aus den Gleichnissen aufs hässliche Entlein und den kleiderlosen Kaiser, durchlebt Mutters Tod, trifft, gereift, erneut den Soldaten und ist am Ende keine Außenseiterin mehr: Alle tanzen da in roten Strümpfen, Karen hat dieses Attribut nicht mehr nötig. Mit Kaiser und Entlein geht sie ihrer Zukunft entgegen.

Wie spritzig die Choreografin ihre unkonventionell inszenierte, knalligfarben lichtdesignte Andersen-Melange unter Zügen voller roter Stiefel über die Bühne eilen lässt, wie vielen Kindern sie Einsatz verschafft, wie sehr ihr die jungen Darsteller das mit Tanzbegeisterung danken, bereitet Zusehfreude über dramaturgische Klippen hinweg. Claas Willeke umhüllte die schnittige Revue ausgewogen mit Mozart, Disko und Eigenkomposition, Donlon füllte sie stilistisch breitgefächert mit Schrittmaterial aus Klassik, Pop, Breakdance bis zu Irish Tap als Finale – in der temporeichen Originalität der Saarbrücker Chefchoreografin. Im Gedächtnis bleiben Philippe Kratz als kautschukgelenkiger Soldat, Aoi Nakamura als rundum souveräne Karen, Yankiel Ochoa Leivas urkomödiantisches Entlein, Spieltalent und Tanzvermögen der gesamten Mannschaft.

Nicht nur Neueinstudierungen stehen den Studenten fürs nächste Schuljahr ins Haus. Sie haben fortan auch die Möglichkeit, ihre Ausbildung parallel mit Abitur und dem Grad eines Bachelor of Art abzuschließen. Staatliche Ballettschule und Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ kooperieren in diesem einzigartigen Modell-Studiengang, der Befähigte zur Hochschulreife führt – nach Karriereende eine ungleich bessere Voraussetzung für den Zweitberuf als der weiterhin angebotene Berufsfachschulabschluss. Wenn bis 2010 das Architektenbüro des Berliner Hauptbahnhofs für 18 Millionen auf dem Schulgelände elf moderne Ballettsäle und ein neues Internat errichtet haben wird, ist die Stadt um einen attraktiven Standort für Tanz reicher. Eine Vermittlungsquote von mehr als 90 Prozent unter den Absolventen rechtfertigt diesen Aufwand.

 

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