Auf die feine englische Art

Deutsche Erstaufführung von Kenneth MacMillans „Romeo und Julia“

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Karlsruhe, 21/10/2006

Mit der deutschen Erstaufführung von Kenneth MacMillans „Romeo und Julia“ hat das Ballett des Badischen Staatstheater Karlsruhe in der vierten Spielzeit unter der Leitung von Birgit Keil seine definitive Emanzipation von der Stuttgarter Vergangenheit seiner Chefin vollzogen. Gäbe es so etwas wie ein Äquivalent zum amerikanischen „Balanchine Trust“ und dem Gütesiegel seines „Balanchine Style und der Balanchine Technique“, so könnten die Karlsruher sich nach dem umjubelten Premierenabend rühmen, den Stempel des „MacMillan Trust“ und des „MacMillan Style und der MacMillan Technique“ von der MacMillan-Witwe, Lady Deborah, höchstpersönlich aufgeprägt erhalten zu haben. Ich freue mich schon heute auf die diversen Bachelor-Studien unserer demnächst graduierten Absolventen der Tanzwissenschaft an den sich jetzt formierenden Fakultäten unserer Universitäten und Hochschulen über die dramaturgischen, inszenatorischen und vor allem choreographischen Unterschiede der neuen Karlsruher „Romeo und Julia“-Version im Vergleich zum unübersehbaren Stuttgarter Vorbild des John Cranko Originals von 1963. Denn dass MacMillans Gastresidenz bei der Stuttgarter Kompanie in den frühen sechziger Jahren entscheidend seine Auseinandersetzung mit dem Prokofjew-Ballettklassiker beeinflusst hat, wird ja wohl von niemandem bestritten werden.

Im Gegensatz zum American Ballet Theatre und dem Ballett der Mailänder Scala, die sich ebenfalls der Einstudierung der MacMillan-Version rühmen können, hat sich Karlsruhe eine eigene Ausstattung von Paul Andrews geleistet, angelehnt an die Meister der italienischen Frührenaissance, die der Identität der Aufführung unbedingt zugutegekommen ist. So kann Karlsruhe durchaus stolz sein auf seine eigene badische „Romeo und Julia“-Version neben Stuttgarts württembergischen „Romeo und Julia“ – und Baden-Württemberg auf seine zwei unterschiedlichen „Romeo und Julia“-Produktionen auf diesem Niveau. Was man übrigens auch der Wiedergabe der Prokofjew-Partitur durch die Badische Staatskapelle unter der Leitung von Jochem Hochstenbach bestätigen muss, die an Wucht und tänzerischer Triebkraft nichts zu wünschen übrigließ.

Gegenüber der Stuttgarter Aufführung und ihrem nach wie vor überwältigenden jugendlichen Elan (der auch nach vierzig Jahren nichts von seiner Sturm und Drang Emphase eingebüßt hat, wie wenn ihr Cranko ein Dorian-Gray-Gen implantiert hätte) nimmt sich Karlsruhe anfangs noch eher sediert und vorsichtskrämerisch aus, gewinnt aber schon in den brillant arrangierten Fechtszenen des ersten Aktes an Schubkraft, die dann nicht nachlässt bis in die tragischen Verstrickungen des Finales. Wobei man ein ums andere Mal die psychologische Delikatesse in der Profilierung der Charaktere bewundert. Grob vereinfachend wird man sagen können, dass MacMillan Crankos populäre lebensstrotzende und emotional aufgeladene Vitalität mit einer eher englischen Art vornehm-distinguierter Teacup-Gentility kontert. Bedenkt man, dass MacMillan seine Choreografie für Tänzer vom Kaliber Seymour und Gable, Fonteyn und Nurejew schuf, kann man nur den Hut ziehen, wie sich die Karlsruher Junioren ihrer bemächtigt haben: die wundersam lyrisch eloquente Anaïs Chalendard als Julia (die hier einen enorm weitgespannten Entwicklungsbogen durchläuft), der fesche und draufgängerische Flavio Salamanka als eleganter Romeo sowie seine beiden Kumpane, der lebensverliebte Terence Kohler als Mercutio und der scherzboldige Diego de Paula als Benvolio, der ingrimmig standesbewusste Felipe Rocha als Tybalt und der schüchtern hübsche Alexandre Simoes als Paris nebst all den anderen Veroneser Immigranten des Karlsruher Balletts, dessen Identität sich von Produktion zu Produktion immer markanter herauskristallisiert.

 

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