Kontur gewinnen!

Das Portrait Hans van Manen beim Bayerischen Staatsballett

München, 11/02/2005

Mit zwei Erstaufführungen und drei Wiederaufnahmen hat das Bayerische Staatsballett den jetzt mit 19 Stücken in seinem Repertoire vertretenen Hans van Manen geehrt, indem es ihn in die Reihe seiner Choreographen-Porträts aufnahm. In den „Fünf Tangos“ aus dem Jahr 1977 bannt von Anfang an gleißende Eleganz das Auge, wenn der Blick über den leeren Bühnenraum auf den nachtdunklen Hintergrundprospekt mit den konstruktivistisch gemalten Hochhaus-Fassaden von Buenos Aires fällt. Die rauen Tangos Astor Piazzollas rauen gleichzeitig die Sinne auf, und die Präzision, mit der die sieben Paare van Manens mathematisch-kühl konstruierte Muster auf den Boden zeichnen, schafft eine Spannung, die zuweilen knistert.

Im Zentrum stand Lucia Lacarra. In ihrem Solo vor den sie beobachtenden Männern ergab das die Atmosphäre einer Melonga mit der van-Manen-spezifischen Geschlechter-Spannung, doch eigentlich faszinierte Lacarra mehr durch ihre stupende Beweglichkeit als durch unbezwingliche Präsenz: Noch transportiert sie mehr Ornament-verbrämtes Ballett als Geradlinigkeit und Tango-Blut. Das hatte ihr Partner Alen Bottaini schon stärker integriert. Er hat sich zu einer reifen, kraftvollen Künstlerpersönlichkeit entwickelt und gewinnt in allen seinen Rollen bewunderswerte Plastizität.

Norbert Graf und Juan Eymar tanzten, zwischen Freundschaft und Rivalität changierend, sehr elegant. Auch die beiden dazu kommenden Solistinnen Irina Dimova und Natalia Kalinitchenko überzeugten. Letztere, die im Januar bereits mit zwei Debuts in Neumeiers „Kameliendame“ als Prudence in München neue Maßstäbe gesetzt und als Manon an das Format Elena Pankovas angeknüpft hatte, gewann hier durch ihr überlegen hohes Schritttempo ständig eine Winzigkeit mehr an Zeit für die Entfaltung von Ausstrahlung: Blitzsauber akzentuierend spielte sie mit Partner- und Publikumsbezug und schien, die Musik einatmend, jede Bewegung zu genießen.

Je weiter die „Fünf Tangos“ voranschritten, desto mehr erfasste der Tango-Sog die Bewegungen aller. Nur so, wenn die Choreographie eine sinnliche Synthese mit der Musik eingeht, wird van Manens Werk zum Hochgenuss! Der melancholische Abschiedstanz „Two“ aus dem Jahr 1990, von van Manen zu Busonis „Berceuse élégiace“ in seinen Verschlingungen und Auseinanderstrebungen spannender angelegt als hier gesehen, ist als Exempel für die emotionale Vielgestimmtheit des Choreographen im Portrait-Programm sehr gut platziert. Doch war der athletische, solide tanzende Erkan Kurt auf seine viel gesammeltere Partnerin Lisa-Maree Cullum zu wenig fokussiert, als dass das Suspense dieses formal streng strukturierten Pas de deux hätte hervortreten können.

Eine geglückte Begegnung brachte hingegen in „The Old Man and Me“ Ballettdirektor Ivan Liska mit Judith Turos zusammen, die nach zwei langen Verletzungsjahren und ihrem Wechsel ins Ballettmeister-Fach erstmals in einer Tanzrolle auf die Bühne zurückkehrte. Als sie zum Titelsong von J. J. Cale den skurril unbeteiligten Alten umkreiste, wurde schlagartig klar, wie lebenswichtig starke Persönlichkeiten für Humor und Angriffslust von Hans van Manens Stücken sind. Mit wie raffinierter Einfachheit und Formvollendung wird da die Geschichte einer Annäherung erzählt, die beide zur Entfaltung von Energie befreit und ihren Pas de deux im dritten Teil zu Mozarts Adagio geschmeidig werden lässt – entwickelt und klar allein durch die Bewegungen und Gesten! Blickkontakte verraten Sehnsucht, führen zu einem leichten Rühren an die Schulter, gewonnene Nähe wird bewusst und geht doch verloren.

Das den Mittelteil abschließende „Solo“ von 1997, eine auf drei Tänzer verteilte übermütige Tour de force mit Ryan Ocampo, Wlademir Faccioni und Lukas Slavický, sah letzteren ganz auf der Höhe der Dynamik, während selbst der blendende Techniker Ocampo anfangs einiges verwischte und erst allmählich Plastizität gewann. Doch van Manens amüsante Visualisierung des Höllentempos von Bachs Partita Nr. 1 für Violine garantierte auch dieses Mal die Begeisterung des Publikums.

Problematischer war wieder „Black Cake“, van Manens „Torte“ zum 30. Geburtstag des NDT im Jahr 1989, das man als Party mit Tänzern wie Champagnerperlen im Kopf hat. Jetzt tanzte Sherelle Charge am früheren Platz von Judith Turos und kam über schöne Gefälligkeit nicht weit hinaus. Ihr Partner Cyril Pierre bewies charmante Harlekin-Qualitäten, aber im grotesken Gerangel von Mann und Frau überzeugte dieses Paar nicht. Immerhin reichte der zweite Pas de deux, in dem ein souveräner Kirill Melnikov seiner Partnerin Lucia Lacarra zur Entfaltung verhalf, von Dynamik und Persönlichkeit her an das frühere Format.

Was für „Black Cake“ galt, gilt für den ganzen Abend: Die neue Tänzergeneration muss in diese subtilen Stücke hineinwachsen, Kontur gewinnen, ein Gefühl für schnörkellose Eleganz und ironische Distanz entwickeln. Dennoch hält das „Porträt Hans van Manen“ bereits jetzt ein Theatererlebnis bereit, in dem sich das Genie des holländischen Klassikers der Moderne manifestiert. Seine Musikauswahl ist ein Genuss für sich, und ihre Wiedergabe durch das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Myron Romanul ließ bereits jetzt keine Wünsche offen.
 

Besuchte Aufführung: Premiere am 7.2.2005

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