Der Luxus großer „L's“ in der „Terpsichore-Gala V“

Lacarra und Lopatkina, Lisa (Cullum) und Elizabeth (Auclair)

München, 30/10/2005

Dreieinhalbstündig eröffnete die „Terpsichore-Gala V“ die Ballettsaison im Münchner Nationaltheater - wegen Überholung der Bühnentechnik Wochen später als sonst - und begann nur 40 Stunden nach der Rückkehr des Staatsballetts von seinem Gastspiel beim International Art Festival Shanghai. Willkommene Entlastung also, dass das Ballett des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, als „Aufsteiger“ geehrt, den Abend eröffnete. Das junge, von Birgit Keil geformte Ensemble zeigte in „Intermezzo for 20“, einer Choreographie des jungen Talents Terence Kohler, zu den Ballettsuiten Nr. 1 bis 3 von Schostakowitsch sein noch frisches Können in klassischer Technik und sorgte mit schönen Raumeffekten und den angebahnten Stimmungswechseln zwischen Eleganz, Witz und Romantik für einen sympathischen Auftakt.

Dann trat, dem locker gehandhabten Konzept folgend, Terpsichore dieses Mal durch Frauensoli zu vergegenwärtigen, Sherelle Charge auf, konzentrierte in José Limóns gleichnamigem Solo zur „Chaconne“ aus Bachs Partita Nr. 2 ihre Darstellung auf dessen komplexe Strenge und fand bisweilen zu kraftvoller Expressivität. Gleichfalls aus dem Geist der Moderne geboren ist das 2004 uraufgeführte „Irony of Fate“ des spanischen Choreografen Rafael Bonachela von der Londoner Rambert Dance Company. Mit der Violinistin Ruth Palmer als Bühnen-Gegenüber tanzte es die Australierin Amy Hollingsworth, indem die Impulse der Partita von Vytautas Barkauskas ihren ganzen Körper durchliefen und ihn analog zu den emotionalen Assoziationen formten, was in der virtuosen Dynamik von Hollingsworth als Einheit von Sound & Movement suggestiv wirkte.

Mit George Balanchines choreografischem Meisterwerk „Pavane“ zur gleichnamigen Komposition Ravels folgte die Keimzelle der Dramaturgie dieser Gala. In dem von tiefem Sentiment getragenen Solo, bei dem ihr die feine Arbeit mit dem sie zu Anfang und Ende einhüllenden weißen Chiffon-Tuch nicht ganz gelang, berührte Kyra Nichols, eine der führenden Ballerinen des New York City Ballet, mit ihrer durch Einfachheit und Reife bestechenden Interpretation.

In seinem dem jugendlich-virtuosen Lukas Slavický frisch auf den Leib choreografierten Solo „Ricercare“ zeigte Ivan Liska humorvoll Versuche, sich aufblitzender Ideen zu versichern und sie spielerisch oder entschieden umzusetzen - ein sehr persönlich gezeichnetes Kabinettstück, in dem er einen seiner führenden Tänzer gut exponierte.

Erneuter Wechsel: „Der sterbende Schwan“, 1907 von Michael Fokine für Anna Pawlowa zur Musik von Camille Saint-Saëns geschaffen. Der hochmusikalischen Interpretation Uljana Lopatkinas folgte man atemlos, denn was diese das Ideal der langgliedrigen Ballerina verkörpernde Startänzerin aus St. Petersburg mit ihrem in jahrzehntelanger Arbeit erworbenem Stilwissen um kleinste Details ohne jeden Wackler und ohne jede Bewusstseinslücke vermittelte, schuf eine einzigartige Aura, die die Zuschauer spannungsgeladen fasste.

Im anschließenden „Zakouski“ vom New Yorker Balanchine-Nachfolger Peter Martins, einem mit netten „Kleinigkeiten“ (russ. Zakouski) gewürzten Pas de deux zu Kleinformen von Rachmaninoff, Strawinsky, Prokofjew und Tschaikowsky, tanzten die Münchner Ersten Solisten Lisa-Maree Cullum und Alen Bottaini mit Eleganz einander zugewandt, zuweilen scheinbar schwerelos, köstlich in den Phrasierungen, und brannten mit hellem Bewusstsein für das Neckische der musikalisch gegebenen Folklore-Elemente ein verspieltes Feuerwerk an Liebreiz ab.

Der zweite Teil begann mit einer Hommage an drei Tanz-Ikonen: Grete Wiesenthal, Martha Graham und Anna Pawlowa. „Weib, Wein und Gesang“ von 1921 tanzte Brit Rodemund, Wiesenthals Stilisierung folgend, zum Glück verhalten, sonst wäre dieser deutsche Ausdruckstanz zur schwelgenden Freude der Strauß'schen Walzermusik für heutige Augen unsäglich gewesen. Wie umfassend der Ansatz Martha Grahams war, der großen Pionierin des Modern Dance, die sich nicht im Choreografischen erschöpfte, sondern aus ihrem philosophischen Denken heraus auch Großakteure wie Kirk Douglas und Liza Minnelli bis hin zu Madonna coachte, zeigte „Deep Song“. Auf der technischen Grundlage von Contraction, Relaxation und Atem zeigte Elizabeth Auclair, Principal der New Yorker Martha Graham Dance Company, authentisch die Marter des menschlichen Körpers und Geistes im spanischen Bürgerkrieg, auf die Graham 1937 mit „Deep Song“ reagierte. Das Kostüm und die im Mittelteil zur Mauer aufgestellte Bank als Teil des Kostüms der Tänzerin vergrößerten die Schrift dieses getanzten Appells an die Menschlichkeit.

Als Petitesse schloss sich „Die Nacht“ an, vom Petipa-Nachfolger Nikolai Legat 1909 für Anna Pawlowa geschaffen und neu von Gamal Gouda einstudiert. Severine Ferrolier, anfangs mit Schleier und Blumenketten angetan, brachte mit schlanker Interpretation das Choreografische an diesem Pawlowa-Stück charmant zur Geltung. Der „Don Quijote“-Pas-de-deux von Natalia Domracheva (aus Kiew) und Zdenek Konvalina (aus Houston) enttäuschte, weil beide nur auf Effekte ihrer Technik setzten. Paartanz in Vollendung boten dagegen Lucia Lacarra und Cyril Pierre, die sich bei Roland Petit in Marseillle begegnet waren und mit dessen "Thaïs"-Pas-de-deux das Publikum begeisterten. Hochvirtuos und intelligent die Effekte subtiler Nuancierung nutzend, konnte sich Lacarra ausdrucksstark auf ihren Mann als vollendeten Partner stützen. Der abschließende „Raymonda“-Pas de deux vermittelte ein schiefes Bild, weil Roman Lazik neben Uljana Lopatkina trotz seiner engagierten Manege erdenschwer wirkte.

Schade, dass Lopatkina bei ihrem Münchner Auftritt unter Wert „verkauft“ und leider auch rezipiert wurde. Man hätte sie mit einem adäquaten Partner ans Ende der Gala platzieren müssen, um dem einzigartigen Grad ihrer Verinnerlichung der Kunst Terpsichores gerecht zu werden. Dass Choreografinnen wie Isadora Duncan oder Mary Wigman fehlten, war leichter zu verschmerzen. Doch die Freude wurde auch bei vielen Stücken durch Unzulänglichkeiten der Beleuchtung getrübt. Die musikalische Qualität des von Myron Romanul geleiteten Staatsorchesters und aller Instrumentalsolisten war allerdings durchgängig ein Genuss. So wurden also nicht alle schön angelegten Möglichkeiten genutzt. Trotzdem machte diese Eröffnung der Spielzeit Lust auf mehr.


Link: Bayerisches Staatsballett

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