Nordic Dancing

Der neue „Mats Ek Ballettabend“ an der Deutschen Oper am Rhein

oe
Düsseldorf, 30/09/2005

Im kunterbunten Repertoire-Zoo unserer Opernhäuser nehmen sich die Ballette des inzwischen auch schon sechzigjährigen Schweden Mats Ek wie exotisch schillernde skandinavische Paradiesvögel aus. Sie haben ebenso wenig mit den herkömmlichen Klassikern wie mit Balanchine zu tun, auch nicht mit Béjart, van Manen, Kylián oder Forsythe als derzeit gängigsten Modellen – und schon gar nichts mit unseren Tanztheater-Gurus à la Bausch, Kresnik, Linke oder Dietrich. Sie sind bei aller Vielfalt ihrer Gattungen und Formerscheinungen auf Anhieb als Produkte eines ganz und gar eigenwilligen Autors zu erkennen. Gäbe es so etwas wie eine Graphologie der choreografischen Handschriften, Mats Ek wäre ein ideales Studienobjekt!

Das erwies sich jetzt wieder beim „Ballettabend Mats Ek“, mit dem die Kompanie der Deutschen Oper am Rhein in ihrem Düsseldorfer Haus die neue Saison eröffnete. Es ist bereits das zweite Programm, das das Haus dem inzwischen weltweit gefeierten Choreografen widmet – nach dessen „Carmen“ und „Solo für zwei“. Wie ja auch bereits Hamburg und München mehrere Stücke von ihm im Repertoire haben (im Gegensatz zu Stuttgart, das seit seiner „Antigone“ von 1979 einen weiten Bogen um ihn macht).

Der zweiteilige Düsseldorfer Abend ist besonders interessant, weil er zwei Arbeiten aus sehr verschiedenen Schaffensabschnitten präsentiert: das aus dem Jahr 1978 stammende „Bernardas Haus“ und das rund zwanzig Jahre jüngere „Eine Art von …“ – beide übrigens zu Tonbandeinspielungen, leider, denn die zugrundeliegenden Musiken (spanische Gitarrenmusik, beziehungsweise Kompositionen von Henryk Górecki) dürften gestandene Orchestermusiker keineswegs überfordern.

„Bernardas Haus“ beruht auf Federico García Lorcas „Tragödie aus spanischen Dörfern“ über das rigorose Regiment, das die verwitwete Bernarda Alba über ihre Töchter ausübt, denen sie eine achtjährige Trauer verordnet hat. Stuttgart erinnert sich noch gern an MacMillans „Las Hermanas“, eins seiner besten und dichtesten Ballette überhaupt. García-Lorca-inspirierte Ballette zwischen „Bluthochzeit“ und „Don Perlimplin“ waren damals ja ausgesprochen „in“, und Eks Adaption des Dramas ist ein typisches Produkt jener Zeit, mit einer unheilschwangeren Atmosphäre und markant profilierten Charakteren. Eks Besonderheit ist die Besetzung der Titelrolle mit einem Mann – er liebt ja diese Gender-Spiele, und Valerio Mangianti gibt ihn wie eine androgyne Missgeburt, gezeugt von Petipas Carabosse und Puccinis „Suor Angelica“.

Als viertes Exemplar in Eks Gesamtkatalog ist „Bernardas Haus“ bei aller spanischen Timbrierung doch noch auffallend klassisch grundiert. Es wird von den Düsseldorfern mit sozusagen frustriertem erotischen Elan getanzt, ohne den dramaturgischen chirurgischen Eingriff wirklich zu rechtfertigen. Aber vielleicht trägt sich Ek ja mit dem Gedanken, später einmal eine all-male Version von „Bernardo Albas Haus“ folgen zu lassen, in der dann konsequenterweise auch die fünf Töchter zu Söhnen mutiert sind.

Ist Eks Bewegungssprache schon hier bei aller klassischen Grundierung von einer ausgesprochen eckigen Kantigkeit und voller abrupter Brüche, so erscheinen diese Verfremdungen in „Eine Art von …“ zum stilistischen Grundprinzip erhoben – mit den drei Punkten im Titel als Ankündigung des fragmentarischen Charakters, der diese Collage aus lauter Kurzszenen auszeichnet (unter denen wieder die Gender-Problematik eine wichtige Rolle spielt). Ist man versucht, Eks Garcia-Lorca-Interpretation als eine spezifisch schwedische puritanische Variante in der Linie der Strindberg-Nachfolge zu sehen (als Evakuierung von García Lorcas Andalusien nach Noorland), mutet „Eine Art von …“ wie eine schwedische Mittsommernachtskomödie aus dem Geiste Ingmar Bergmans an.

Hier überwiegt nun eindeutig das Groteske, der Humor, der auf dem Bodensatz einer abgrundtiefen Melancholie ruht – über die Art und Weise, wie die Menschen miteinander umgehen. Es ist der Geist der nordischen Kobolde und Trolle, der in den Adern dieser Geschöpfe pulst, und der einmal im Jahr, in der Johannisnacht, gleichsam explodiert. Die Düsseldorfer Tänzer, acht plus acht, als kreatürliche Elementarwesen in einem Fantasy-Land, das irgendwo zwischen Selma Lagerlöf und „Pipi Langstrumpf“ liegt. Das versuche man einmal, sich vorzustellen! Es beglaubigt indessen Mats Eks ganz und gar eigenständige Künstlerschaft als Fortsetzer einer skandinavischen Traditionslinie, die, von Ibsen und Strindberg angefangen, bisher bei Ingmar Bergman endete. Und die jetzt einen neuen Repräsentanten hat: Mats Ek als schwedischer Kulturexport der Volvo-Klasse!

 

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