Der Schein kann trügen

„Geschlossene Spiele“ - Das Ballett der Deutschen Oper am Rhein zu Gast in Ludwigshafen

Das erste Handlungsballett von Demis Volpi an neuer Wirkungsstätte begeistert das Publikum.

Ludwigshafen , 19/06/2022

Als sich im Frühjahr 2013 nach der Premiere von „Krabat“ im Stuttgarter Ballett der Vorhang senkte, war der Karriereweg des jungen Choreografen Demis Volpi klar vorgezeichnet: ganz steil nach oben. Er hatte mit seinem ersten abendfüllenden Handlungsballett für das eigene Haus den erfolgreichsten Kassenschlager der letzten Jahrzehnte kreiert. So wundert es nicht, dass er bei der ersten Übernahme einer eigenen Kompanie in ganz große Fußstapfen getreten ist: in die von Martin Schläpfer. Sein Vorgänger machte zu Beginn des Jahrtausends das Mainzer Tanzwunder möglich und ist nach über zehn höchst erfolgreichen Jahren vom Rhein an die Wiener Staatsoper weitergezogen. Seit 2021 ist Demis Volpi Ballettdirektor der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf/Duisburg).

Auf der Suche nach einem passenden Stoff für sein erstes Handlungsballett an der neuen Wirkungsstätte hat sich der Deutsch-Argentinier Volpi auf seine Herkunft besonnen. Im magischen Realismus von Julio Cortázar fand er die passende choreografische Herausforderung. „Geschlossene Spiele“ ist die Umsetzung eines Theaterstücks, in dem der argentinische Autor ein absurdes Panoptikum schräger Gestalten an einem surrealistischen Un-Ort zusammentreffen lässt – und das am Ende in ein Plädoyer gegen die Todesstrafe mündet.

Diese Wendung ist in künstlerischer Hinsicht nicht leicht zu nehmen, und auch Volpis höchst amüsante Choreografie wird vom Schwung szenischer Überraschungselemente leicht aus der Kurve getragen. Schon auf den ersten Blick ist die Szenerie in diesem Stück doppelbödig, und jede Eindeutigkeit wird gekonnt unterlaufen. Spielort ist ein argentinisches Lokal, dem Heike Scheele (Bühne) eine schäbige, leicht klaustrophobische Atmosphäre verliehen hat. Ein Schalter im Hintergrund verfügt mysteriöserweise über ein Kofferband. Es lässt die über ein Dutzend Koffer, die ein überforderter Gast unter Aufbietung aller Kräfte händelt, ins Ungewisse verschwinden – und liefert sie im unpassenden Moment wieder zurück.

Das Unterlaufen der Zuschauererwartungen hat Methode: Die seltsamen Figuren, die hier aufeinandertreffen, werden zunächst sorgsam stilisiert und hübsch überzeichnet, um dann doch zu demonstrieren, dass alles ganz anders sein könnte als gerade gedacht. Derweilen gibt es eingängige Live-Klaviermusik auf der Bühne und gelegentlich aus dem Radio Nachrichten-Schnipsel über ein Todesurteil, das ohne Gnade kurzfristig umgesetzt wird. Der Reigen von einem guten Dutzend Darsteller*innen wird orchestriert von einem Schachspieler ganz in Weiß, der alle Fäden zu ziehen scheint. Es treten auf: zwei chargierende Kellner, eine amerikanische Touristin im Cowgirl-Look, die plötzlich auf Spitze tanzt, ein selbstvergessenes Revoluzzer-Pärchen im glamourösen Partylook und ein Hühnchen, das dem Schlachten zu entkommen versucht… Kostümbildnerin Katharina Schlipf hat hier ganze Arbeit geleistet. 

Am Ende treffen, völlig unerwartet, auch der Richter und sein Opfer aufeinander - der Jurist als gnadenlose Karikatur der Justitia mit der Waage, der Verurteilte als Oberkellner, der sich zumindest tänzerisch gegen das fatale Urteil zur Wehr setzt.

Auch wenn an diesem Abend die vielen szenischen Überraschungseffekte und die virtuose choreografische Charakterisierung der Protagonisten der ernsten Botschaft die Schau stahlen – im Ludwigshafener Pfalzbau spendete das Publikum den Gästen langanhaltenden Beifall.
 

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