Schmerzende Schönheit, Einsteins Charme und Oberflächenreize

Ein Triple-Bill von Kylián, Balanchine und Galili eröffnet die Ballettwoche 2005

München, 24/03/2005

Die Eröffnungspremiere begann mit der Wiederaufnahme von „Bella Figura“. Das garantierte einen Einstieg auf höchster Ebene. Er übertraf die Erwartungen sogar, da die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts, auch wenn viele Partien neu besetzt sind, die geheimnisvolle Balance zwischen augenzwinkernder Ironie und sakraler Getragenheit in Jirí Kyliáns subtiler, erfindungsreicher und exquisit musikalischer Bewegungssprache jetzt offenbar noch detaillierter ausgearbeitet haben. Schon das Trio zu Beginn entfaltete die Magie der Barockmusik von Lukas Voss, Giovanni Battista Pergolesi, Alessandro Marcelli und Giuseppe Torelli durch das synchrone Gleiten und die Plastizität der Körper. Dann zeigten Lisa-Maree Cullums und Roman Laziks faszinierende Schleiffiguren und Counterbalancen einen Pas de deux von einer Schönheit und Sammlung, dass er einem Tränen in die Augen treiben konnte. Und obwohl Sherelle Charge und Cyril Pierre den Humor Kyliáns mit einem Nachzittern der Mandolinenklänge von Vivaldi bis in die Fußspitzen witzig realisierten, hielt die atemlose Spannung über den meditativen Mittelteil bis in die Pas de deux des Finales an, das zuletzt in völliger Stille ausklingt und damit beweist, wie die poetisch erfüllte Form von Kyliáns Bewegungen ergreifen kann.

Auf den tranceähnlichen Schönheitsgenuss folgte die kristallklare Mathematik von George Balanchines und Igor Stravinskys „Agon“, der Münchner Erstaufführung dieses rein abstrakten, vielleicht modernsten und radikalsten von Balanchines neoklassischen Balletten. Wie hier die 12 Tänzer mit einem anfänglichen Männerquartett, zwei aufeinanderfolgenden Trios und dem zentralen Pas de deux die Zahl 12 durchdeklinierten und der formalen Strenge mit ihrer virtuosen Energie Charme verliehen, war nicht nur aller Ehren wert, sondern behauptete sich sogar im Anschluss an „Bella Figura“ in der Gunst des Publikums, das diesen „Agon“ durch ständigen Szenenapplaus zum Nummernballett machte. Im ersten Pas de trois überzeugte Lukas Slavický mit kraftvollen Sprüngen und souveräner Führung zwischen Natalya Kalinitchenko und Zuzannah Zahradnikova, die mit dezent verspielter Anmut kokettierten. Im zweiten Pas de trois bewies Lisa-Maree Cullum zwischen ihren versetzt springenden Partnern Roman Lazik und Marlon Dino nicht nur durch ihre schwierigen Balancen, wie technische Perfektion zur Freiheit führt.

Zu deren Gipfel führte Lucia Lacarra in ihrem zentralen Pas de deux mit Cyril Pierre, indem sie mit faszinierender Flexibilität, frappierender Schnelligkeit der Füße und höchster innerer Spannung ihren hochvirtuosen Pas de deux durchgängig souverän phrasierte. Das Hinzukommen der anderen Tänzer unterstrich die formale Perfektion dieses Stücks, das immer wieder in skulpturale Ensembleposen und zum Schluss in sein Anfangsbild mündet.

Hat man erwartet, dass Itzik Galilis „So nah so fern“ zur Auftragskomposition von Percossa nach solchen Meisterwerken eine Steigerung bedeutete und deshalb die Reihenfolge so gewählt? Nach ihrer Ökonomie und Gültigkeit markierte die neue Uraufführung einen Absturz, denn der Aufwand an technischer Logistik, Ausstattung und Bewegung steht in keinem Verhältnis zur Aussage des Gezeigten. Dennoch war es nicht so schlecht, wie es aus diesem Kontrast heraus erscheint. In den drei Sektionen von „So nah so fern“ streift eine Frau durch einen Fantasiebezirk, der einmal den Arbeitstitel „The Drunken Garden“ trug. Fünf Rosenbäume wachsen: Tänzer, die sich, in Skischuhen fixiert, über die Gesetze der Schwerkraft hinaus neigen können. Das überrascht als Effekt, zumal Galili wie in früheren Produktionen mit raffinierten Beleuchtungswechseln den Raum immer wieder neu prägt. Aber das Schwanken der Rosenbäume zieht sich zu den Streicherklängen doch sehr in die Länge, ohne dass sich die Szene weiter entwickelt.

Wenn dann die Imagination der Frau durch das Hereinbrechen der percussiven Instrumente und einer Menschenmenge verdrängt wird, beginnt der Mittelteil, in dem zuerst einige akrobatische Begebenheiten überraschen, das durchgängige Forte aber jede Nuancierung vermissen lässt und, wie auch die mit dem Orchester melodisch angereicherte Schlagzeugsequenz, bald ermüdet. Das anhaltende Auftauchen und Verschwinden von Tänzern in den wechselnden Scheinwerferkegeln bleibt zwar durchgängig unterhaltend, aber Galilis hektische Tanzsprache schafft keine Klarheit.

Im Übergang zur dritten Sektion, der herausgegriffenen Einzelgeschichte der Frau, erscheint noch einmal ein Bild der Rosenbäume im Hintergrund, bevor zwei Männer sich als Rivalen um sie bemühen. Sherelle Charge im Zentrum ist mit Schönheit und Engagement ein großer Gewinn für diese Oberflächenreize, aber mehr, als dass sich auch die beiden Solisten Norbert Graf und Wlademir Faccioni wie auch das gesamte Ensemble in beeindruckender Weise auf diese Reise ins Ungewisse eingelassen haben, konnte ich nicht erkennen.

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