Zwei Meisterwerke und ein Machwerk

Balanchine, Kylián und Galili beim Bayerischen Staatsballett

oe
München, 22/03/2005

Fast fünfzig Jahre hat es gedauert bis zur Münchner Ersteinstudierung von Igor Strawinskys und George Balanchines „Agon“ für zwölf Tänzer. Nirgends sonst sind sich Ballett und Mathematik so nahe gekommen wie hier. Kann man Zahlen deklinieren? Balanchine hat es gekonnt, und die Münchner Tänzer, getrieben von den widerborstigen Rhythmen Strawinskys, führen in Soli, Duos, Trios und Quartetten, die auch gedoubelt, verdrei- und vervierfacht werden, vor, wie das geht: eine Fünfundzwanzig-Minuten-Lektion in choreografischer Mathematik, für die Ivan Liška ein paar der Topsolisten seiner Kompanie eingesetzt hat – darunter Lucia Lacarra und Cyril Pierre, Lisa Maree Cullum und Lukas Slavicky, Natalia Kalinitchenko und Roman Lazik. Während Myron Romanul und das Bayerische Staatsorchester ihnen die musikalischen Energieschübe zuspielen, verwandeln sie die Zahlenkombinationen in pure tänzerische Poesie. Die in weiteren Vorstellungen sicher noch an diamantenem Brillantschliff gewinnen wird.

Davor bereits Jiří Kylián „Bella Figura“, die die Münchner Tänzer ja bereits seit zwei Jahren ihren Körpern infiltriert haben – auf diese Weise Kyliáns durchaus zeitgenössischen Begriff von „Bellezza“ demonstrierend. Der eben auch das Gegenteil, das Unschöne, „La Bruttezza“, das Groteske, die Umwertung der klassischen Harmonie einbezieht – um doch immer wieder zu den klassischen Proportionen des Goldenen Schnitts und der harmonischen Synchronität zurückzufinden. Kyliáns Choreografie spielt mit den Verunsicherungen nicht nur der Schönheit, sondern auch mit den geschlechtlichen Irritationen, ja mit der Einheit des Körpers, wenn einzelne Gliedmaßen aus dem Nichts heraus Gestalt annehmen. So stecken bei ihm im Apollo von Belvedere auch die Erinnyen des Tartarus. Und das alles zu den Klängen von Vivaldi, Pergolesi, Marcello und Lukas Foss. „La Bellezza“ oder die Anatomie der Choreografie!

Danach verstört die als Clou der Vorstellung im Münchner Nationaltheater erwartete Uraufführung von „So nah so fern“ von Itzik Galili umso mehr als ein unsägliches Kitschfabrikat. Immerhin hatte Galili ja kürzlich für die Stuttgarter seine mirakulöse Licht-Quadratur choreografiert. Und was soll man zu seinem dreisten Titelklau sagen, nachdem Heinz Spoerli schon vor Monaten für seine demnächst in Zürich bevorstehende Uraufführung zu Mahlers Fünfter Sinfonie eben diesen Titel reklamiert hatte? Das ist ein rotstichig sich blähendes Gewürge, Geschiebe und Gebolze, mit abgrundhässlichen Kostümen von Natasja Lansen, das sich der anfänglichen Surprise seiner Schrägdiagonal-Schraubungen in ein quallig-formloses Tohuwabohu verwandelt – zur sämig vor sich hin säuselnden Musik für Streicher und Schlagzeug von Percossa, einer Auftragskomposition der Kompanie. Einmal mehr staunte man über den nachtwandlerischen Instinkt der Münchner, international renommierte Choreografen zu ihren banalsten Arbeiten zu inspirieren: nach Lucinda Childs, Jean Grand-Maitre, Amir Hosseinpour, Saburo Teshigawara und Angelin Preljocaj nun also auch Itzik Galili.

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