Keine Sorge um den Nachwuchs

Die Akademie des Tanzes Mannheim zu Gast im Theaterhaus

oe
Stuttgart, 30/10/2005

Herbst? Anbruch der Winterzeit? Nicht an diesem strahlend sonnigen Spätsommertag. Nicht draußen am Pragsattel – und schon gar nicht drinnen, in der Halle 2 des Theaterhauses – wo es nur so summt vor erwartungsvoller Spannung auf den dicht gedrängten Bänken: Senioren-Opas und -Omis, stolze Eltern und jede Menge Kinder. Als ob sie draußen ein Schild aufgehängt hätten: Hier können Familien glücklich werden! Da hätten wir uns unsere vereinigten Familien- und Jugendminister zugegen gewünscht! Schickt Eure Kinder in die Ballettschulen – erstens weil es ihnen ausgesprochen Spaß macht, und zweitens weil sie hier etwas lernen, was ihnen fürs ganze Leben nutzt (welchen Beruf sie auch später ausüben werden): Disziplin und Gemeinschaftssinn!

Frühlingsaufbruchstimmung denn also an diesem Nachmittag, zu dem die Tanzstiftung Birgit Keil geladen hatte – anlässlich des Gastspiels der Akademie des Tanzes Mannheim. Und da gingen einem gleich anfangs die Augen über, beim Entrée der Bajaderen vergaß man schließlich zu zählen: zwei, vier, sechs – na ja, gut und schön, aber gleich sechzehn aus der Mannheimer Bajaderen-Akademie, und dazu noch drei Oberbajaderen – und, als ob das nicht genug sei, als Sahnehäubchen noch die Superbajadere Nikita, alias Bruna Andrade, nebst ihrem unsterblich in sie verliebten Solor namens Rai Kirchner. Ach, kann Ballett schön sein – vorausgesetzt, dass ein Peter Vondruska als Guru die nötige Vorarbeit geleistet hat. Wäre Peter Struck anwesend gewesen, er hätte lautstark verkünden können: die Schönheit des Balletts wird am Hindukusch von Mannheim verteidigt!

Nicht etwa, dass man sich in Mannheim mit purer Nostalgie anno 1877 begnügte – obgleich dort die Danse d'école als das A und O aller abendländischen Theaterballettkultur unterrichtet wird (wie dann später noch einmal ausschnittsweise an „Les Sylphides“ demonstriert – mit einer besonders poesieerfüllten Interpretation des Prélude durch Thais Martins). Abwechslungsreich ging‘s durch die Jahrhunderte, mit einer artigen Referenz an den ersten Ballettklassiker (Yun Liaio mit „La Fille mal gardée“), dem kess hingelegten Kitri-Solo aus „Don Quichote“ von Katherine Pullmann und dem Piraten-Solo des Konrad aus „Le Corsaire“, das Davit Jeyrananyan derart mit Dynamit auflud, dass er kühn über die Rampe flog und im Zuschauerraum landete.

Dunklere, ja schmerzlich leidende Töne schlug dann der Tscheche Ondrej Valenta mit seinem „Soul“ an – einem Memorial an den Prager Frühling von 1968 (an dem er noch gar nicht geboren war)? Doch am hipsten ging es in Rosemary Néri-Calheiros „Hanky Panky“ zu – vier Models am Strand von Copacabana, verfolgt von zwei Stalkern, von denen sich Rai Kirchner als ein virtuoser Breakdancer outete, den man seinem Haschisch-umnebelten Solor nie zugetraut hätte. Und mit ihrem „Caña“-Finale von Christine Neumeyer, angefeuert vom Gitarristen Rainer Hawelka, stampften die acht Mannheimer Señoritas und Señores dann ein Zapateado-Geknatter aufs Parkett, als kündigte sich hier pünktlich zum 250. Jahrestag eine Neuauflage des Erdbebens von Lissabon am Pragsattel an. Wann kriegen wir denn wohl ein Fußball-, oder vielleicht zur Vermeidung von Verletzungen besser ein Handballturnier der Junioren von der TA Mannheim gegen den JCS Stuttgart zu sehen? Vielleicht haben sie bis dahin in Mannheim ja dem Pas de deux sein männliches Geschlecht restituiert und ihn von seiner androgynen Zwitterhaftigkeit befreit!

 

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