Schwan im Federnsee

Die Gala der Tanzstiftung Birgit Keil

Ludwigsburg, 17/11/2008

Jetzt wissen wir also, dass es noch peinlichere Männerkostüme gibt als das Lederröckchen mit güldenem Beiwerk aus „Diana und Actäon“. Je mehr Überraschungen eine Ballettgala bereithält, desto besser. Die siebte große Gala der Tanzstiftung Birgit Keil in Ludwigsburg war eine schöne Kombination aus Bekanntem und Neuem, alle zwei Jahre mischen sich hier die jungen Anfänger unter berühmte Gäste aus aller Welt. Die einstige Stuttgarter Starballerina ist nicht nur als Ballettdirektorin in Karlsruhe und als Leiterin der Mannheimer Tanzakademie erfolgreich, durch ihre Tanzstiftung arbeitet Keil aktiv als Netzwerkerin und Mäzenin für die (klassische) Ballettlandschaft, und das mit Riesenerfolg, wie die lange Liste der Sponsoren und Unterstützer im Programmheft beweist.

Für die Stipendiaten ihrer Tanzstiftung hatte Philip Taylor, der ehemalige Ballettdirektor des Münchner Gärtnerplatztheaters, eine Uraufführung zu Händel-Musik kreiert. Er füllte die Ausschnitte aus den Concerti grossi nicht mit leerer Virtuosität, sondern ließ die 14 jungen Ballettstudenten Emotionen andeuten, stilisiert vielleicht und flüchtig, aber doch voll Wärme, wenngleich sein schön einstudierter „Regenbogen“ mit einer knappen halben Stunde zu lang geriet. Aber mit ein paar Manierismen des Barock in den Handbewegungen, ein paar verspielten Ensembles und einigen modernen Widerhaken sahen die Schüler sehr gut aus.

Wesentlich schneller verging die Zeit mit der frechen Multikulti-Truppe der Staatlichen Ballettschule Berlin und den Percussion-Scheinkämpfen von Robert Norths „Troy Game“. Natürlich gab es auch Ausschnitte aus dem Repertoire des Karlsruher Balletts: Elena Gorbatsch und Marcos Meñha konnten das unterkühlte „Carmen“-Duo von Solisten Ray Barra nicht retten, dessen einzige Pointe die Musik aus der falschen Bizet-Oper war, aus den „Perlenfischern“. Leicht schwülstig, aber weitaus interessanter glänzte der Männer-Pas-de-deux aus Peter Breuers „Tschaikowsky“ für den lyrischen Diego de Paula und den männlichen Meñha: ein schöner Gegensatz.

Bejubelt wurden an diesem Abend aber vor allem die außergewöhnlichen Auftritte, zum Beispiel das heftige Hip-Hop-Solo aus Brasilien mit Luiz Claudio Silva Souza als Roboter, Gummipuppe und Moonwalker (es erstaunt die Nähe zu den Armzuckungen Marco Goeckes). Oder der „Sterbende Schwan“ des Schwaben Bernd Burgmaier, den sein Weg von der John-Cranko-Schule zu den berühmt-berüchtigten Trocks, den Ballets Trockadero de Monte-Carlo geführt hatte, wo Männer die Ballerinenrollen tanzen. Wie einstens Anna Pawlowa trippelte er auf Spitze durch die legendäre Choreografie, mit wunderschön weichen Schwanenarmen und exquisiter Phrasierung. Nur verlor sein Tutu ständig Federn und er ab und zu die Contenance: eine subtile Parodie von großer tänzerischer Klasse - und danach die beste Vorhangshow des Abends.

Die hohe Kunst der stilvollen Interpretation führten vier internationale Gastpaare vor: Erst wenn man die Technik so souverän wie sie im Griff hat, kommt die wahre Kunst zum Vorschein. Lucia Lacarra und Cyril Pierre vom Bayerischen Staatsballett zelebrierten ihre oft gezeigte Roland-Petitesse „La Prisonnière“ mit exakt der eleganten Perfektion und unterkühlten Langeweile, die als Markenzeichen des einstmals beherrschenden französischen Choreografen gelten. Vielleicht täte dem vielgereisten Paar mal eine Auffrischung seines Galarepertoires gut? Agnes Oaks und Thomas Edur vom English National Ballet zeigten in einem Pas de deux aus Kenneth MacMillans „Manon“ vollendet den britischen Stil, wo es immer eine winzige Spur mehr um die Schönheit des Tanzes geht als um die inneren Dramen. Wie schön, dieses großartige Paar noch einmal in Ludwigsburg sehen zu können – Oaks will nach dieser Spielzeit ihre Karriere beenden. Marina Antonova und Guy Albouy, langjährige Solisten der Deutschen Oper am Rhein (er ist neuerdings beim Semperoperballett), hatten mit dem seltenen Virtuosenstück „Walpurgisnacht“ von Leonid Lawrowsky ein Relikt aus der Schneller-höher-weiter-Kraftmeierei des sowjetischen Balletts dabei. Mit Albouy im roten Schleierröckchen und Weinranke über der nackten Brust war das gar nicht so weit entfernt vom Trockadero-Schwan. Aber wenn schon sowjetischer Stil, dann genau so: stürmisch, akrobatisch und kraftvoll, mit schier unmöglichen Hebungen und virtuos hingeknallten Posen.

Balletthistorisch interessant war der Vergleich zum Pas de deux aus „Die Flammen von Paris“ – der heute fast vergessene Abendfüller entstand 1932 im nachrevolutionären Russland und blieb formal und choreografisch doch stark im alten zaristischen Stil verhaftet. Iana Salenko und Marian Walter, die zwei technisch superben Youngster vom Berliner Staatsballett, tupften ihre Tricks mit lächelnder Leichtigkeit auf die Bühne, sie mit einer schwindlig machenden Fouetté-Reihe und er mit ultraverlangsamten Drehungen und schönem Ballon in den Sprüngen. Wie schade aber, dass gerade Marian Walter sich bei aller preußischen Bescheidenheit nicht etwas mehr Sinn für den Effekt gönnt, diese Verwegenheit der Posen, den strahlenden Abschluss. Wir empfehlen eine Prise Farukh Ruzimatov.

www.tanzstiftung.de

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