„Die Vier Jahreszeiten“

Ballettabend im E-Werk

Schwerin, 22/04/2005

Bereits zum zweiten Mal in dieser Spielzeit bedient sich Jens-Peter Urbich, neuer Ballettchef am Schweriner Staatstheater, der Dienste von Marc Bogaerts. Nach dem abendfüllenden „Dorian Gray“ im Großen Haus liefert der belgische Choreograph nun drei kürzere Stücke für eine Tanzproduktion in der Nebenspielstätte, dem E-Werk, gelegen am idyllischen Pfaffenteich. Eingeleitet wird das Programm mit „A Lover‘s Tale“, zu Teilen aus Griegs a-moll Klavierkonzert. Ein verliebtes Paar erscheint in einer Art Hotelsaal, umwieselt von einem Ober, der ein Auge auf die Frau geworfen hat, die sich ihm an den Hals wirft, als ihr Mann für Augenblicke verschwindet. Bogaerts verstreut klassisches Schrittmaterial, stellt die Dame im bis zur Hüfte geschlitzten Kleid auf die Spitze - und gelangt zu keiner ironischen Schärfe, schafft so ein ziemlich ödes Ballettchen alter Couleur. Dabei zieht sich der wieselflinke Rustam Savrasov als Domestike am besten aus der Affäre, serviert mit einem Augenzwinkern seinen Part.

In „Steps“, einer Percussionstudie von einem Komponisten namens van Campen, stellt Bogaerts neun Tänzer/innen in eine Linie, Gesicht zum Publikum, Arme gegenseitig „folkloristisch“ auf die Schultern gelegt. Von kleinen Schritten ausgehend (Frauen auf Spitze), nimmt Bogaerts Bewegungen der Köpfe und schließlich der Arme hinzu: eine knifflige Etüde, so eine Art gesteigerter vier kleine Schwäne, die bei der gesehenen Generalprobe noch nicht ganz glatt verlief. Zur teils rabiaten, brachialen Schlagzeugmusik wirkt das Geschehen allerdings sehr harmlos, ohne drive.

Und schließlich das Kernstück, die „Vier Jahreszeiten“ von einem gewissen Vivaldi. Der schmale Rustam Savrasov verkörpert den Mann, der die Zeiten durchschreitet, mit staunenswerter Kondition, sehr sauberer Technik und schöner Linie. Wegen seines jungenhaften Aussehens nimmt man ihm Frühling (bei Bogaerts die Jugend) und Sommer (Reife) noch ab, nicht jedoch Herbst (Alter) und Winter (Tod). Zu Beginn rollt er über eine Lichtdiagonale auf die Bühnenfläche, begegnet zuerst der zierlichen, präsenten Jelena-Ana Stupar (Frühling). Er produziert sich vor ihr wie ein Gockel. Den Gegenpol zur schüchtern erotischen Stupar bildet die selbstbewusst auftretende Kellymarie Sullivan (Herbst), deren Tanz mit dem Mann zum kraftvollen, sehr vitalen Pas de deux sich entwickelt, dem vermeintlichen Alter zum Trotz.

Choreographisch und tänzerisch sind es die stärksten Momente des Abends. Vivaldis glühenden Instrumentalfarben und rhythmischen Zuspitzungen setzt Bogaerts fast nur routinierte Glätte entgegen, Risiken meidet er. Ob es für das künstlerische Profil der Schweriner reicht, dass der „Hauschoreograph“ dieser Saison Solisten und Ensemble lediglich technisch anspruchsvolle Aufgaben zuteilt, scheint mir zweifelhaft.


Gesehen: Medien-Probe am 19.3.2005

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