„Die vier Jahreszeiten“ von Guiseppe Spota

„Die vier Jahreszeiten“ von Guiseppe Spota

Wenn der Kapitän von der Brücke geht


Guiseppe Spota und Johan Inger erzählen im neuen Mannheimer Tanzabend von Verlusten

Mit der Auswahl von „Die vier Jahreszeiten“ und „Empty House“ gelingt Stephan Thoss ein kontrastreicher Tanzabend.

Mannheim, 17/01/2019

Wenn der Kapitän von der Brücke geht, ist zwar der Rest der Mannschaft noch auf dem Posten, aber nichts ist genauso wie vorher. Diese Erfahrung hat der schwedische Choreograf Johan Inger gemacht, als Jiří Kylián nach fast einem Vierteljahrhundert die Leitung des Nederlands Dans Theater aufgab. Damals noch als Tänzer hat Inger miterlebt, wie sich dieser Weggang angefühlt hat: wie der Verlust der Mitte. In seiner 2002 entstandenen Choreografie „Empty House“ – Teil des neuen Mannheimer Tanzabends – spürt Johan Inger diesen Gefühlen nach.

Die zehn TänzerInnen, die er auf die Bühne schickt, scheinen alle auf merkwürdige Weise orientierungslos, einsam und unfähig, aufeinander einzugehen. Sie können noch raumgreifend tanzen, aber ihre Bewegungen nicht mehr aufeinander abstimmen, ihr Gegenüber nicht mehr genau wahrnehmen. So verpuffen die Aufbruchsversuche Einzelner, sind Paarbildungen zum Scheitern verurteilt. Für dieses bewegende Kammerspiel reichen Johan Inger ein weißer Tanzteppich mit schwenkbarem, weißen Tuchsegel als Bühne, geschickt jede Festlegung vermeidende Kostüme und die kongeniale Musik von Félix Lajkó. Dessen „Koncert ‘98“ klingt wie für das Stück gemacht.

Das präzise Malen von Emotionen durch Bewegungen hat Johan Inger inzwischen zu einem Shooting Star der internationalen Choreografie-Szene gemacht. Der Mannheimer Ballettchef Stephan Thoss, konsequenter Förderer choreografischer Talente, hat das sensible tänzerische Kammerspiel für den neuen Tanzabend („Die vier Jahreszeiten / Empty House“ ausgesucht – als schönen Kontrast zur Neuproduktion des Hauschoreografen Guiseppe Spota (dem schon die Direktion in Gelsenkirchen winkt).

Der greift gern in die Vollen bei Bühne und Kostümen und gönnt in seiner Version der vier Jahreszeiten den ZuschauerInnen erwartungsgemäß keinen ungetrübten Genuss der populären barocken Klänge. Antonio Vivaldis Violinkonzerte werden in einem raffinierten Sounddesign immer wieder durch rohe Geräusche kontrastiert – ein Spiegelbild der gebrochenen Beziehung zwischen Mensch und Natur. Für diese Spannung hat sich Spota, ein Choreograf mit überquellender Bilder-Fantasie, Überraschendes einfallen lassen; er zeichnet selbst für Bühne und Kostüme verantwortlich. Viel, viel Plastik gibt es auf der Bühne, angefangen von seltsam starren Plastikkostümen bis zu auf- und niederfahrenden zylindrischen Röhren und einem schwebenden Rad aus Plastikkanistern. Nicht nur die unterschiedlichen Jahreszeiten, sondern viele weitere Gegensätze prallen immer wieder aufeinander, und jede schöne Harmonie erleidet gewaltsame Störungen.

Da wird eine ganze Fülle von Assoziationen angestoßen, an denen sich die Gefährdung der Natur festmachen lässt. Die zehn beteiligten TänzerInnen sind fast durchweg beschäftigt bis hin zum Kostümwechsel auf offener Bühne – es ist schließlich, unübersehbar, für die Umwelt schon fünf nach Zwölf. Zwischen verblüffender, zerbrechlicher Schönheit und derbem Witz hält das Stück seine Spannung bis zum Ende durch.

Das Nationaltheater-Ensemble kann beides: laut und leise sein, drastisch und subtil. An dieser Spannweite hatte das Mannheimer Premierenpublikum seine helle Freude.
 

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