Zwischen Kraftmeierei und Kampfsportspaß

Ballettschulgalas in Dresden, Berlin und ohne Leipzig

Berlin, 23/06/2004

Zwei Stunden Matinee der Palucca Schule Dresden in der Semperoper, bei der sich in elf Stücken knapp 70 Schüler nahezu aller Altersstufen vorteilhaft präsentieren konnten und den Zuschauer gut gelaunt entließen, auch wenn es nicht nur Trümpfe zu besichtigen galt. Gundula Peutherts etwas harmlose Einstiegschoreografie „Quasi Begin“, Young Mi Lees groß angelegte, indes konfuse Tanztheaterstudie „Behind“ um Ablehnung und Intoleranz, Olimpia Scardis tänzerisch unkonkrete „Etüde für Julia und Dennis“ haben kaum Überlebenschancen. Maud Butters „Rheinländer“ zu Folkloreklängen vom Klavier bedient da besser den Spieltrieb ihrer Schülerklientel, acht bunt kostümierten Paaren (1. Jahr Grundstudium). Als Fels der Klassik ragte die Variation der Kitri gen Bühnenhimmel. Renata Bardazzi (3. Jahr Hauptstudium) vermochte ihn noch nicht zu erklimmen. „In der Pause“ lässt Enno Markwart gut 25 kleinere und größere Knöpfe (1. bis 4. Jahr Grundstudium) bündeln, was sie im Unterricht gelernt haben. Der Versuch, zu Musik Mozarts Elemente des klassischen Tanzes mit Schuhplattlern und im Fall gelandeten Sprüngen jugendgemäß zu verquicken, geht auf. Um Ausstechenwollen, Selbstfindung und Kameradschaft dreht sich Gundula Peutherts wenig belangvolles, jedoch angenehm zu sehendes Mädchentrio (1. Jahr Hauptstudium) „Zehner“ zu Musik des Balanescu Quartetts.

Den Reigen gelungener Beiträge leiteten Brigitta Luisa Merkis „Alegrías“ ein. Sieben Paare (2. Jahr Hauptstudium) von unterschiedlicher Größe und verschiedenem Entwicklungsstand führt sie darin zu Formgefühl, tänzerischer Akkuratesse und gleicher Intensität der Ausstrahlung. Wie eine gute Choreografie den Eindruck der Tänzer veredeln kann, machten Jirí Kyliáns „Evening Songs“ deutlich. Interpreten, die in „Behind“ so untänzerisch wirkten, ließen sich körperharmonisch und leichtfüßig in den Strudel aus Dvoráks sanfter Komposition und Kyliáns warmherziger Konstruktion hineinreißen. Der 11. Vergabe des Palucca-Stipendiums, diesmal an die Tanzpädagogin Nicola Marrek und den Tänzer Sebastian Uske, sowie der gesamten Matinee verlieh Birgit Scherzers brillantes Männerstück „Keith“ zur weltverlorenen Klavierimprovisation von Keith Jarrett abschließenden Glanz. Die Körper Heranwachsender kleiden diesen rund 20-jährigen Klassiker um ambivalente Gefühle zwischen der Sehnsucht nach dem Erwachsensein, der Geborgenheit in der Jugendclique, dem Zauber erster Gefühlsaufwallungen und der Befangenheit in diesem Dickicht passgerecht. Im Septett (2. und 3. Jahr Hauptstudium) spürte man hingebungsvolle Tanzlust und körperliche Musizierfreude bis zum witzigen Ende.

Drei eigenständige Beiträge für 70 Mitwirkende enthielt die ebenfalls zweistündige, in der Deutschen Oper wie auch Unter den Linden gezeigte Gala der Staatlichen Ballettschule Berlin. Das Divertissement aus „Paquita“ mit seinem polnisch akzentuierten Musikschmiss haben die Studenten ehrenvoll bewältigt. Schon die neue Generation der „Kindermazurka“ (1. bis 3. Ausbildungsjahr) tanzte so spannungsvoll, dass man die Goldtressen auf den grünen Uniformen der Jungen unterm roten Cape beinah platzen fühlte. Zu Walzer-Geschmetter dann das Defilee der potenten Solistinnen und des Damencorps (5. bis 8. Ausbildungsjahr). Im Pas de trois flankierten mit sicherer Linie Lina Buss und Barbara Melo Freire ihren mit Jungencharme auftrumpfenden Partner Sascha Pieper. Hochglanzpolierte Posen, Wendungen und Raummuster der Mädchengruppe grundierten ein attraktives Paar: Doris Becker, der nicht nur die Schluss-fouettés fast perfekt gelangen, und Konstantin Lorenz, dessen proportionierter Körper Tanz atmet, durch strahlend lange Arme besticht und später in „Troy Game“ Begabung auch für moderne Stilistiken bewies. Ebenfalls rund 45 Minuten dauert Birgit Scherzers Uraufführung als Mittelstück und Achse des Programms. „Der Geburtstag der Infantin“ greift Oscar Wildes sinnträchtiges Kunstmärchen auf und reanimiert eine Musik, die Franz Schreker 1908 fürs Wiener Gartentheater den Wiesenthal-Schwestern auf ihren ausdruckstänzerischen Leib komponiert hatte. Eine vorgegebene, nach eigener Aussage ungeliebte Partitur und die Forderung, alle Ausbildungsstufen in die Inszenierung einzubinden – für eine sensible Choreografin wie Birgit Scherzer vielleicht der Einschränkungen zu viele. Lebendig hält sie die Bühne mit ihren gut 45 Mitwirkenden allzeit, erzählt die Geschichte vom naiven Zwerg Hässlich, dem die zickige Infantin durch ihren Spott das Herz bricht, nach eigenem Libretto und mit freier Formensprache in einem Übermaß sich überlagernder Bilder, die nicht zu einem Kunstganzen verschmelzen. Scherzers diffuse Choreografie kommt schwer auf den Punkt und ist oft kaum zu entschlüsseln. Sorgsam modelliert sie die Figur des Zwerges, als der Sascha Pieper berührt, und die herzlose Infantin, der Gabriele Rolle groteske Züge verleiht. Robert Norths Meisterwerk „Troy Game“ mit seiner köstlichen Kraftmeierei, dem gladiatorischen Imponiergehabe und seinem tänzerischen Ertüchtigungslärm fegt als Kehraus des Programms alles Unbehagen fort. Die acht Jungen (7. und 8. Ausbildungsjahr) werfen sich dem physisch fordernden Koloss mit Frische und Emphase entgegen, dass man seinen Spaß selbst da hat, wo noch nicht jeder choreografische Gag zündet, die Kondition lahmt und die Bühnenerfahrung sichtlich fehlt.

Bliebe die Leipziger Schule. Befand sie sich bei ihrer vorjährige Gala noch unterm schützenden Dach der Leipziger Oper, so drohen diese zehn Jahre der Zusammenarbeit nun hinfällig zu werden: Die Lokalpolitik ist mit unwürdigen Begründungen entschlossen, die Auflösung des Lehrinstituts zum Ende des Schuljahrs 2005 durchzusetzen, obwohl ein Sponsor sein Rettungsangebot nach wie vor aufrecht erhält. Wegen Auszehrung infolge eklatanter Schülerflucht brachte die Schule schon diesmal keine Abschlussveranstaltung mehr zustande. Der nächste Abschied im Tanz scheint unausweichlich.

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