74′ von Anne Rudelbach/Antoine Effroy (Hamburg)

Kampnagel

Hamburg, 21/04/2004

Dreiviertel der Bühnenfläche sind hell erleuchtet, hinten verbleibt ein Rest im Dunkel. Auf der leeren Fläche entwickelt Anne Rudelbach ein Zeitlupensolo zum brüchigen Gesang eines alten Mannes über „Jesus’ blood never fails me“. Dieses Lied, mini-minimalistisch instrumental, vokal „angereichert“ von Gavin Bryars und schließlich aufgepeppt mit der Röchelstimme von Tom Waits, begleitet in unendlich scheinender Wiederholung das 74-minütige, vierteilige Stück 74′ (entspricht der Dauer einer CD) von Rudelbach und Antoine Effroy auf Kampnagel. Den Anfang markiert Rudelbach – rotes Top, dunkle Hose mit zwei schmalen weißen Streifen – mit ihrer Studie, in dessen Verlauf sie ihren Körper zu Skulpturen formt, denen etwas Schmerzliches, Leidendes gemeinsam ist. Ob sie den Oberkörper seitlich biegt, in die tiefe Kniebeuge geht, nach vorn zusammenklappt, um die Arme hinter ihrem Rücken wie Flügel extrem verlangsamt flattern zu lassen, oder in der Rolle rückwärts auf halbem Weg innehält, die Beine wie ein Dach über dem Kopf ausgestreckt - immer spielt eine Art Martyrium mit. Oft fast puppenhaft, den Blick meist nach innen gerichtet, buchstabiert Rudelbach ein Bewegungsvokabular der körperlichen Verschiebungen durch. Ab und an wechselt sie gehend die Position im Raum, ohne ihn durch Übergänge, Verbindungen zu gestalten, zu erobern. Durch ihre spürbar strenge Konzentration schafft sie in ihrem etwa halbstündigen Solo eine meditative Stimmung.

Danach, in „Menge“, schicken Rudelbach/Effroy 21 „Nichttänzer/innen“ aller Altersstufen vom Kind bis zum Greis in Alltagskleidern quer über die Bühne: Sie gehen in unterschiedlichem Tempo von links nach rechts, von rechts nach links über die Fläche, bleiben ein Mal stehen, legen sich ein Mal hin und werden als Silhouetten vor einer Projektionsleinwand platziert. Darauf läuft ein Film ab, in dem eine Kamera eine Körperlandschaft abfährt. Ästhetisch, technisch gekonnt in der vergrößerten Darstellung, bei der nur selten die Körperteile zu orten sind. Schlussendlich präsentieren Tänzer Antoine Effroy, beschuht mit Gummistiefeln, und Schauspieler Matthias Breitenbach Betrachtungen über Hunde an, der eine tänzerisch, der andere verbal. Breitenbach erregt sich über Hundescheiße, -kot, -dreck, möchte die Tiere am liebsten umbringen, bleibt am Ende regungslos am Boden liegen. Das hat er nun davon, möchte man sagen.

Mir hat sich der Sinn der drei Teile nicht erschlossen, sie lassen kalt, weil sie keinen Fokus haben, sich kernlos ausbreiten ins Beliebige, schon zu oft Gesehene.

Weitere Vorstellungen auf Kampnagel: 23., 24., 29., 30.April; 1., 6., 7.Mai, jeweils 20 Uhr.

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