Stress im Labor

André Gingras' Choreografie enttäuscht beim Dance-Festival

München, 04/11/2002

Ist er ein Klon? Hat man an seinem Stressgen Cyp 17 herumgefummelt? Kauert da ein Mutant im Labor? Oder ein Gemeingefährlicher mit Verfolgungswahn, der nun bei Dance im I-camp in eine Gummizelle gesperrt ist? André Gingras, ehemaliger Solotänzer bei Robert Wilson, präsentiert in „Cyp 17 (ReCombining)“ seinen Tänzer Manuel Ronda als Individuum in Extremsituation.

Hinter dem Mann in weißer Unterhose pulsiert fröhlich ein Oszillogramm, softe Musik spielt, die später von akustischen Schlägen unterbrochen und mit exotischen Rhythmen weitergeführt wird. Dann und wann sieht man Videobilder eines gehenden Mannes, mal blickt man einem Riesenvogel ins Auge, dann flimmert Mikrobiologisches. Die Zukunft geht rückwärts, macht aus dem Mann einen Kretin, der vor Kraft strotzt, aber unfähig ist, sie zielgerichtet einzusetzen. Entsprechend unkoordiniert sind seine Bewegungen. Er wirft sich und fällt, er hechtet und strauchelt, er kauert und ruckt den Kopf wie ein Vogel. Virtuos bricht Manuel Ronda zusammen und schwingt sich wieder auf. Ihm traut man mehr zu, als diese Nummernrevue kultureller Stereotypen und vermeintlich kritischer Reflexionen über Gentechnologie zu exekutieren, die dramaturgisch an keiner Stelle über Klischees hinauskommt.

Denn dass der Mann unter Stress steht, ist nicht zu übersehen. Er wird von Ticks gequält, mit der Fortbewegung hapert's, der Hospitalismus scheint weit fortgeschritten. Der Knochen, den ihm der Wärter im Schutzanzug vorwirft, löst nur noch den Reflex aus, dass seine Zähne wie beim Beißen aufeinander schlagen. Später baut er die Teile einer Stoffpuppenfrau korrekt zusammen und wirft sich drauf. Dann weiß er nicht mehr weiter und reißt sie wieder auseinander. Zum Schluss filmt er sich selbst, was irgendwie mit Galileo Galilei zu tun hat, wie es heißt. Und es bewegt doch nichts.

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