„Rendez-vous avec Chopin“ (II.)

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Stuttgart, 01/12/2002

Am ersten Adventssonntag als Matinee die zweite Vorstellung des neuen Chopin-Programms. Kein Freund von Nachmittagsvorstellungen, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mir Robbins‘ „Dances at a Gathering“ gleich noch einmal anzusehen – zumal da alle Rollen umbesetzt waren. Also nahm ich die ungeliebten „Les Sylphides“ notgedrungen in Kauf, hörte, soweit möglich, weg, bewunderte aber – gar nicht notgedrungen, sondern ganz spontan und aufrichtig, die ungemein saubere Einstudierung mit den tatsächlich wie aus einem Guss tanzenden Corps (uniformer und harmonischer noch als am Premierenabend) – und auch die Solisten, Roberta Fernandes, Katja Wünsche (anstelle von Elena Tentschikowa) und Sue Jin Kang (statt Yseult Lendvai).

Beglückt stelle ich fest, dass wir zwei so elegante und technisch exquisite Poeten-Kavaliere haben – nach Mikhail Kaniskin (der sich allerdings noch um weichere Landungen bemühen muss) nun auch Friedemann Vogel als der Selbstversunkenere der beiden, sozusagen der Novalis (der „Hymnen an die Nacht“) gegenüber Kaniskins Puschkin.

Eine einzige Beglückung dann die Wiederbegegnung mit Robbins‘ „Dances at a Gathering“. Wenn Reid Anderson nichts Anderes bewirkt hätte als dieses Wunderwerk von einem Ballett für die Stuttgarter Kompanie zu erwerben, Stuttgart wäre ihm zu großem Dank verpflichtet. Es ist zweifellos das schönste Ballett des ganzen Repertoires, von einer ganz einzigartigen musikalischen Sensibilität, ungemein anrührend in den scheuen Gesten, mit denen die Tänzer ihre Verbundenheit untereinander bekunden und von einem so ganz spontanen, so erfrischend sprudelnden tänzerischen Fluss, dass man aus dem Staunen gar nicht herauskommt. Ich sehe darin die Apotheose des zivilen Umgangs der Menschen miteinander, einen Code Robbins (wie den Code Napoleon für die Rechtsprechung) humanen Benehmens und der Höflichkeit. Ein Gipfelwerk des klassischen Balletts – und eine Bekräftigung meines unbedingten Glaubens an dessen Schönheit und ästhetische Vollkommenheit.

Interessant zu sehen, wie die Tänzer ihren Rollen durchaus individuelles Profil zu geben verstehen – besonders Bridget Breiner (in der Roberta Fernandes-Rolle – deren Minenspiel Myriaden von Emotionen reflektiert), aber auch bei Jason Reilly (anstelle von Kaniskin in der Villella-Rolle, die so stimmungssuggestiv das Ballett eröffnet – und beendet, mit der zart den Boden berührenden Hand), bei der so herrlich quecksilbrigen Patricia Salgado (für Katja Wünsche), bei dem smarten Filip Barankiewicz (anstelle von Friedemann Vogel), bei dem pure Heiterkeit verströmenden Thomas Lempertz (für Javier Amo Gonzales) – und so fort (Alicia Amatriain alias Sue Jin Kang – Elena Tentschikowa für Yseult Lendvai – und Diana Martinez Morales für Elisa Carrillo Cabrera) – und nicht minder bei den Jungen: Gonzales hier nun für Jorge Nozal und Jiri Jelinek für Reilly). Welch eine Tänzer-Equipe! Man kommt gar nicht umhin, alle zehn zu lieben, und stolz darauf zu sein, dass Stuttgart in der Lage ist, eine so hochrangige Besetzung aufzubieten.

Nein, danach hatte ich keine Lust, mich noch einmal der Konfrontation mit der brandneuen Chopin-Kreation, Made bei Nolte, Spuck und Vierck, auszusetzen (ich hatte schon die Generalprobe gesehen und fand zweimal durchaus ausreichend).

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