Wahre Knochenarbeit

Jean Luc Ducourt mit dem Staatsballett im Hauptzollamt

München, 04/11/2002

Als Wegmarke und Wahrzeichen von Dance grüßt die Lichtinstallation des französischen Künstlers Pipon im Dunkeln über die Donnersberger Brücke. In allen Farben erstrahlt die Glaskuppel des Hauptzollamts, Tänzerinnen springen in „Grand jeté“ als weiße Schatten über die bunten Flächen. Diesen poetischen Lichtstreich ergänzten drei Abende lang die „Random Items“ von Jean Luc Ducourt und dem Bayerischen Staatsballett im Eingangsfoyer.

Tief unter dem Tonnengewölbe liegt ein weißer Tanzteppich, auf dem sich das Bodenmuster fortsetzt. Zuschauer sitzen rundherum oder sehen von oben zu, wie die acht Tänzerinnen in Trainingskleidung ihre Spitzenschuhe anziehen. Die Illusion ist gebrochen, der schwerelose Höhenflug endet mit dem Griff zum Handtuch. Hier, in der neuen Reihe „Ballett Labor“ des Staatsballetts, wird gearbeitet, und das soll man sehen. Gegründet, um „neue Arbeitsformen auszuprobieren“, verpflichtete man zunächst Jean Luc Ducourt, einen ehemaligen Tänzer und Kodirektor von Rosas, der Kompanie von Anne Teresa de Keersmaeker.

So rigide das System des klassischen Tanzes auch ist – es bietet Freiheiten: Ein plié bleibt immer ein plié, gleich, in welcher Position, in welcher Richtung diese Kniebeugung ausgeführt wird. Schier unbegrenzt sind auch Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Schritte. Hier setzte Ducourt an, gab jeder Tänzerin eine Schrittfolge als Basis, mit der sie dann experimentieren konnte, um das Ergebnis mit einer klassischen Variation zu verbinden. Auf dem Tanzteppich gewinnt dieses Programm langsam Form, wenn sich aus dem anfänglichen Durcheinandergehen und Markieren einzelne Soli, Duette und Trios schälen, Reihen gebildet werden, die Wege so klar verschlungen sind wie die Verzierungen an der Wand. Mal in schwarzen Trikots, mal mit Tutu, dann auf violett aufleuchtender Tanzfläche vollziehen sie die drei Stufen.

Zu Giaconto Scelsis Suite Nr. 11 für Klavier (von Johan Bossers wunderbar luzide gespielt) buchstabieren die Tänzerinnen im Kopf ihre Kunst neu. Ohne ausstellende Virtuosität spielen sie mit den Grundlagen klassischen Tanzes. Wie man als Besucher im Labor nicht genau weiß, was da dampft und zischt, reimt man sich auch hier beim Betrachten der schwierigen, schön ausgeführten Bewegungen die Ingredienzen zusammen. Kein Schnörkel, kein Ornament, nur „trockene“ Materie. Arbeit eben.

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