Van Manen Ballettabend

oe
Stuttgart, 08/11/2001

Die Stuttgarter Ballettfestivitäten auf ihrer Höhengradwanderung. Abend für Abend ein ausverkauftes Haus, eine Bombenstimmung im Publikum. Die Tänzer stöhnen über die ungeheuerliche Arbeitsbelastung, nicht zuletzt wegen der täglichen kurzfristigen Absagen und Umbesetzungen – und steigern sich doch im 24-Stunden-Rhythmus, tanzen immer lockerer und entspannter – und mit ihrer andernorts kaum anzutreffenden kommunikativen „Joie de danser“, ihrer tänzerischen Lebensfreude, die eben ein ausgesprochenes Stuttgarter Phänomen ist. Man spürt, dies sind Vorstellungen, die bestätigen: eben deshalb sind wir Tänzer geworden, haben diese unendlichen Strapazen auf uns genommen – das ist das, was unser Leben ausmacht!

Am Schluss der Vorstellungen liegen Bühne und Zuschauerraum einander in den Armen: seid umschlungen ihr Stuttgarter Tänzer und ihr da unten im Parkett und oben auf den Rängen – diesen Kuss der ganzen Ballettwelt! Einfach schön, diese Van-Manen-Retrospektive: vier Ballette aus fast dreißig Jahren, jedes ein Meisterwerk, erkennbar von der Handschrift eines Choreografen geprägt, und doch jedes von ganz eigener Identität. Das ist eins der großen Verdienste von Marcia Haydée, dass sie van Manen zuerst nach Stuttgart eingeladen hat, 1981 mit den „5 Tangos“ und schon im folgenden Jahr mit dem genialen „Twilight“, und dann kontinuierlich in den späteren Spielzeiten – eine Praxis die Reid Anderson 1997 mit dem „Kleinen Requiem“ und dem „Solo“ fortgesetzt hat (und nach Meinung vieler Stuttgarter Van-Manen-Fans, oe nicht ausgeschlossen, ruhig etwas intensiver pflegen könnte). So addierten sie sich an diesem Abend zu einer Retrospektive, die große Erinnerungen wachrief (etwa an die einzigartige Partnerschaft von Haydée und Richard Cragun in „Twilight“ - oder an die geradezu dämonische Intensität von Benito Marcelino als Diablo und von Sonia Santiago als Mort in den „5 Tangos“).

Es ist nicht einfach für die heutigen Tänzer, gegen diese Supermodels anzutanzen – aber sie setzen ihre eigenen Maßstäbe: Bridget Breiner und Douglas Lee in „Twilight“ und Robert Tewsley in den „5 Tangos“, dessen vierten Teil die beiden Paare Diana Martinez und Friedemann Vogel, Francesca Podini und Douglas Lee funkensprühend aus und in den Boden stampfen. Das eben haben die heutigen Stuttgarter Tänzer von ihren Altvorderen geerbt, diese unbändige (und doch strikt kontrollierte) Leidenschaft zu tanzen: Ich tanze, also bin ich! Dieses sich in ihre Rollen oder Nichtrollen stürzen, als tanzten sie jedes Mal um ihr Leben. Und das macht auch dieses einzigartige „Solo“ zu dritt zu einer so ungemein vitalen Lebensfeier, diese Mini-Tänzerolympiade, die Ivan Gil Ortega, Alexander Zaitsev und Thomas Lempertz inzwischen so verinnerlicht haben, dass der Publikumsjury gar nichts anderes übrigbleibt als dieser tänzerischen Dreieinigkeit drei Goldmedaillen zuzuerkennen. So schön kann Ballett sein!

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