NRW-Forum in Düsseldorf
NRW-Forum in Düsseldorf

Fair? Festival!

Die internationale tanzmesse nrw 2018 in Düsseldorf - Ein Rückblick

Dieter Jaenicke möchte die internationale tanzmesse nrw inhaltlicher ausrichten und fairer gestalten. Zum Teil ist das bereits gelungen, genug zu tun gibt es aber noch.

Düsseldorf, 05/09/2018

Dieses Jahr leitete erstmals Dieter Jaenicke die internationale tanzmesse nrw und begeisterte direkt mit einer Hybridform aus Messe und Festival. „Fair and Festival“ hieß dann auch gleich der Untertitel. „Die internationale tanzmesse nrw wird sich künftig in Richtung einer Ideen-Messe verändern, auf der die wichtigsten Themen, die die internationale Tanzwelt bewegen, diskutiert werden und performativ stattfinden“, so der neue Leiter zu seinem Programm. Dieses Jahr gab es also direkt einen Urban Dance Art Day und das dance.on.site-Projekt. Beim Tanzfestival können die angereisten Kompanien parallel zur Messe ihre Kunst auf der Bühne präsentieren. Je nach Größe des Messestands konnten entsprechend viele Stücke gezeigt werden. Je größer der Stand, desto teurer war dieser. Das zeigt, wie wichtig die finanziellen Mittel auch für die Präsentationen sind. Allerdings wurde das Programm trotzdem kuratiert, dieses Jahr von Dieter Jaenicke, Carolelinda Dickey, Christian Watty und Malco Oliveros. In diesem Rahmen hat die internationale tanzmesse nrw 2018 fast 500 Kompanien aus über 40 Ländern zu Gast gehabt und über 50 Performances fanden in Düsseldorf, Krefeld und Leverkusen statt.

Neben dem NRW-Forum waren das tanzhaus nrw und das Weltkunstzimmer prominente Spielorte. Für jeden dieser Orte gab es eine andere ‚Festivalwährung‘. Das bedeutete, dass man überall andere Marken und Tokens brauchte, um die gastronomischen Angebote bezahlen zu können. Bezüglich eines einheitlichen, schnellen und elektronischen Bezahlsystems hätte man einfach das Gastland China nach Unterstützung fragen können. Die sind auf diesem Gebiet ziemlich weit vorne und haben etliche ausgefeilte Apps, wie beispielsweise WeChat, worüber die BürgerInnen fast alles regeln. Eben nicht nur Kommunikation, sondern auch Buchungen, Bezahlungen und Bestellungen. Das Theaterrestaurant im tanzhaus nrw ist in niederländischer Hand, die Speisekarte gab es dementsprechend auf Deutsch, Englisch und Niederländisch. Nirgends eine chinesische Übersetzung, auch im NRW-Forum nicht, obwohl doch so viele Gäste aus China vier Tage lang dort anwesend waren.

„Fair bedeutet: Die Teilnahme an der Messe muss auch und gerade dann und dort möglich sein, wo Tanzkompanien nicht durch stabile Institutionen unterstützt werden. Allenfalls bestätigen wir die postkoloniale Aufteilung der Welt, die große Teile Afrikas, Lateinamerikas und anderer Regionen der Welt hermetisch ausschließt“, so Jaenicke über sein Wortspiel „Fair and Festival“. Ein dahingehend spezieller Programmpunkt waren die Focus Forums, in denen ein „Überblick über das Tanzschaffen und die Tanzszene einzelner Länder und Regionen“ gegeben werden sollte. Dieses Jahr waren das die Regionen China, Karibik, Lateinamerika, die Tschechische Republik und die Slowakei. Und bei diesen Foren passierte viel: Die beiden TänzerInnen Jaro Viňarský und Tereza Ondrová aus der Tschechischen Republik und der Slowakei haben ihre persönlichen Tanzgeschichten performativ erzählt. Das war toll, das war ehrlich, da konnte und wollte man folgen. Doch ist das Informationsprogramm sehr bald abgedreht und nacheinander kamen alle im Raum Anwesenden zu Wort, die mit Tanz in den beiden Ländern zu tun haben

Eine ellenlange Aufzählung von Festivals, TänzerInnen, Performances und vor allem Preisen folgte und verlangte dem Publikum viel Konzentration ab. Eine fokussierte Lecture-Performance wäre wahrscheinlich interessanter gewesen. Das Focus Forum der Karibik war schon etwas aufschlussreicher. Nach der Performance „HYSTERIA“ der Künstlerin Annabel Guérédrat aus Martinique folgte ein Gespräch über die in Kuba angesiedelte MiCompania von Susana Pous. Seinen krönenden Abschluss fand das Forum mit einer Kostprobe der Arbeit der brutal ehrlichen Agnes Dru. „You can’t win a world cup without money“, bemerkt sie, als im Plenum über die hohen Reisekosten und die Schwierigkeiten bei der Präsentation der eigenen Werke im Ausland geredet wird. Was bedeutet es denn eigentlich für Kompanien ihre Arbeit in der Fremde zu präsentieren? Sie müssen immer erst einmal ihre ‚Bildung‘ unter Beweis stellen, dass sie sich genauso gut mit Tanz, Theorien und Formen auskennen wie alle anderen. Auch müssen sie meist ihre eigene, manchmal ‚andere‘ Ästhetik rechtfertigen.

Die Tanzwelt (und die Kultur generell) öffnet sich (infrastrukturell) international, stülpt den KünstlerInnen aber oftmals bekannte Ästhetiken und Theorien über. Das liegt freilich an bürokratisch-finanziellen Gründen, die GeldgeberInnen entscheiden quasi gleich über den Stil mit. Für ein wirklich tiefgehendes Verständnis der authentischen Arbeiten fehlt die Zeit zur ausreichenden Klärung bestimmter Kontexte, das braucht zudem den Willen der RezipientInnen und auch der AuftraggeberInnen. Sonst will man nur ‚fremde‘ Menschen sehen, wie sie auf der Bühne einigermaßen (stil-)bekannte Bewegungen ausführen.

Diese Europäisierung lässt sich im Festivalprogramm beobachten. Es scheint, als ob die hiesige Performance-Idee angewandt wurde. Viel Nebel, schummriges Licht, ein Seil, ein Gefäß und Tänzer und Tänzerinnen in wehenden blauen Röcken. Choreograf Ashley Lobo will mit dem Navdhara India Dance Theatre in „Amaara - A Journey of Love“ eine universelle Liebesgeschichte mit philosophischem Ansatz erzählen. Leider bleibt es zu sehr bei diesem Wollen. Denn die einzelnen Bilder, die entstehen und durch Tableaux und Stille dramaturgisch klar voneinander getrennt werden, sind zu pathetisch, zu aufgeladen, um wirklich philosophisch zu sein. Dafür wäre zumindest eine Spur Reflexion notwendig gewesen. Die TänzerInnen sind allesamt in Lobos Prana Paint Technik ausgebildet. Diese ist sogar anerkannt und zieht sogleich eine akademische Rechtfertigung und tanztechnische Institutionalisierung mit sich.

Dies scheint oberstes Ziel (noch) nicht anerkannter Tanzstile zu sein. Darum ging es beispielsweise auch beim Urban Dance Art Day, der dieses Jahr erstmals stattfand und sich den verschiedenen Tanzstilen und Bewegungen des HipHop und Urban Dance widmete. Der Tag wurde von Choreograf Takao Baba kuratiert, der viel reingepackt hat, was es ein weiteres Mal schwierig machte im knappen Zeitplan zu bleiben. Da verspätet begonnen wurde, kam die lehrreiche Diskussion am Ende des ersten Blocks leider zu kurz. Denn genau da wurden wichtige Fragen gestellt, eben die nach der Akademisierung des HipHop. Seit Langem auf großen Bühnen unterwegs und mittlerweile ausgehypt, muss nun der nächste Schritt folgen. Denn nur, wenn sich ein Tanzstil im offiziellen, akademischen Rahmen bewegt, wird er zu 100 Prozent ernst genommen. Doch warum will man das überhaupt? Natürlich wegen des Ansehens, der Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten.

Die tanzmesse nrw hat dieses Jahr vielen Kompanien ein paar Vorstellungen ermöglicht. Denn KünstlerInnen wollen freilich auch einfach ihre Werke präsentieren und zeigen, was sie können. Das hat sich wunderbar beim dance.on.site-Projekt im Weltkunstzimmer gezeigt, bei dem die Stücke herzlich wenig mit dem eigentlichen Ort, einer ehemaligen Brotfabrik im Westen Düsseldorfs, zu tun hatten.

Das (Tanz-)Business ist hart. Nur wenige schaffen den Sprung ins Rampenlicht oder in die Förderung. Alle anderen müssen warten, hoffen, Anträge schreiben und weiter rumkrebsen. Die internationale tanzmesse nrw möchte dies ein wenig vereinfachen und Brücken bauen, helfen und vernetzen. An über 120 Ständen warben die Kompanien für sich und ihren Tanz. Die Stände waren Treffpunkt und spontanes Businessmeeting zugleich. Mit Visitenkarten wurde ebenso gehandelt wie mit Videoschnipseln der Choreografien auf USB-Sticks. Vier spannende Messetage gingen schnell vorbei und dass der Messe, wenn man an die Verknüpfung von Stand und Auftritt denkt allerdings nur beinahe gleichberechtigt, ein Tanzfestival angehangen wurde, zeigt, wie groß das Interesse an solchen ist. Festivals sind ja fast wie Messen, aus aller Welt wird Tanz gezeigt und das Interesse der (Fach-)BesucherInnen ist groß. Dieter Jaenicke sagt selbst, dass man „das direkte künstlerische Erlebnis“ persönlich machen muss. Dann auf eine faire tanzmesse 2020, die bestimmt noch mehr Festival sein kann und wird!
 

Kommentare

Noch keine Beiträge