Die Auserwählten 13
Die Tanzplattform Deutschland 2026 stellt ihr Programm vor
Auch fünf Jahre nach seiner Uraufführung in Zürich tourt das Ensemble noch mit „The Köln Concert“. In Hellerau hat es die neue Spielzeit bereits jetzt schon eröffnet. Und selbstredend war der Saal im Festspielhaus bis zum letzten Platz besetzt.
Nur hat es eben mit diesem Stück keine Eröffnung mit Wumms gegeben. Harrells Stück ist sowas wie das Gegenteil von wumms. Es holt das Publikum vielmehr ganz langsam ab. Und holt es vor allem runter.
Fast hilflos wirkend steht Harrell selbst da, zu Anfang des Stücks, schaut reglos ins Publikum, um den Hals ein Trägerkleid gebunden, Ein bisschen wie eine Schürze, aber doch nur ein Fremdkörper. Der Titel „The Köln Concert“ bezieht sich auf den Jazzpianisten Keith Jarrett und dessen Einspielung von 1975, für das Ohr wie Watte, aber ganz ohne jegliche Gefälligkeiten. Vor dessen Tastenzauber packt Harrell Joni Mitchells Stimme. Ein paar Lieder, mit denen sie die Stimmung setzen soll.
So direkt erschließt sich das erst mal nicht. Notwendig scheint das kaum, zumal anfangs die dramaturgische Struktur willenlos der Musik und dem Gesang folgt. Genauso willenlos erscheint der Bewegungsansatz: unterkomplex, ein paar Schwünge der Arme, ein paar „lyrische Ansätze“ in der Geste. Das zieht sich so weiter, auf sieben Klavierhockern finden sich sieben ganz verschiedene Menschen ein, die gleichzeitig aber zu keinem Zeitpunkt zusammen hier sind. Erst vereinzelt, ein paar auffällig simple Schwingungen der Arme im Sitzen, ein leichtes Heben und Senken der Oberschenkel. Es gibt hier nichts zu sehen. Man fragt sich, wann endlich die Sache „anfängt“.
Nichts wollen, nur sein
Genau wie Harrell tragen auch die anderen Performer*innen Kostüme, die nicht ihrem Körper angepasst sind, schräg, seltsam herausgestellt. Auf Zehenspitzen machen sie plötzlich aus der Bühne einen Catwalk. Elegant, selbstbewusst, stark. Bis auffällt, dass es offenbar nicht um die Präsentation der Kostüme geht, sondern um die Geste an sich. Es ist ein langsames, würdevolles Schreiten, das den Blick auf das Individuum in seinen Eigenheiten wirft. Alle sind verschieden, jede und jeder für sich. Spätestens jetzt hat das Publikum einen gemeinsamen, sehr gesunden Ruhepuls. Hier kommt nichts mehr, das ist klar. Einfach zurücklehnen und atmen.
Durch den Wechsel von Mitchell zu Jarrett, wenn mit dem Wechsel in der Musik ein dramaturgischer Bruch erfolgt, scheint plötzlich klar, warum es die Musik zweier Künstler braucht. Die Performer*innen wechseln hier alle in eine Art schwarzes Kleid, es könnte sieben Mal das selbe sein, nur jeweils unterschiedlich getragen. Reglos sitzen sie auf den Klavierhockern, schauen entspannt mit geradem Rücken ins Publikum oder haben den Blick in sich gekehrt zum Boden gesenkt. Einzelne Solos, ein stilles Heraustreten, Momente der Individualität, von denen nichts ablenkt. Kein aufregendes Bewegungsvokabular, sondern reiner Ausdruck, Ausdruck des Menschlichen.
In einem Kreis um die Hocker herum füllen sie die Bühne, immer wieder tritt jemand aus der Formation, nimmt sich den eigenen Raum, ganz für sich, zeigt sich, aber ohne komplexe Botschaft. Nur ein: Hier bin ich. Ich bin hier.
Am Ende des Stücks ist das eigene Gehirn einfach leer. Und der Applaus des Publikums auffällig warmherzig. Und endlich mal keine der inzwischen so überpräsenten Standing Ovations. Braucht es auch nicht. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hoffen wir, dass das so bleibt.
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