„Mellowing“ von Dance On Ensemble / Christos Papadopoulos

Fifty Shades of Dance

Eröffnung der Heidelberger Tanzbiennale mit dem Ensemble Dance On

Es läuft und läuft auf allen Festivals: Das wunderbar sanfte „Mellowing“ unter der Choreografie von Christos Papadopoulos hat jetzt auch das Heidelberger Publikum entzückt.

Heidelberg, 03/02/2025

Passender hätte der Zeitpunkt nicht sein können: Zwei Tage vor der Eröffnung der Heidelberger Tanzbiennale kam die Nachricht aus Berlin, dass die Finanzierung des Ensembles „Dance On“ zumindest bis Ende 2025 gesichert ist. Das in der Tanzwelt einmalige Ensemble setzt einen eindrucksvollen Kontrapunkt zur üblichen Diskriminierung älterer Tänzer*innen. Karrierechancen auf der Tanzbühne sind in der Regel kurz; die 40 gelten als unausgesprochene Schallmauer. „Dance on“ setzt dagegen auf 40+; gefragt sind langjährige künstlerische Erfahrungen, die im individuellen Körperwissen abgespeichert sind. Diese Künstler*innen Tänzer mit ihren Körpern denken – eine spektakuläre Fundgrube.

Für die Choreografie „Mellowing“ (Reifen) hat der Grieche Christos Papadopoulos, der sich als sensibler Beobachter feinster Bewegungsnuancen einen Namen gemacht, auf das Körperwissen seiner elf Protagonisten zurückgegriffen. Ohne Energie keine Bewegung – der Choreograf forscht nach, woher die Energie kommt und was sie auslöst, bevor sich eine Bewegung Bahn brechen kann. Unterlegt von einer minutiös austarierten elektronischen Komposition seines Landsmanns Coti K entfaltet sich auf der Bühne ein minimalistisches Spektakel, spannend von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Die ersten Minuten auf der Bühne gehören Superstar Jone San Martin Astigarraga. Die ehemalige Solistin des legendären Ensembles von William Forsythe hat auf dieser Biennale die meisten Auftritte: sie tanzt auch noch in Mathilde Monniers „Black Lights“ und in der Abschluss-Gala das Forsythe-Duos „TheThe“; eine persönliche Begegnung wird in einer Talk-Runde möglich. In „Mellowing“ kann man die allmähliche Verfertigung ihrer Bewegungen beim Denken des Körpers in Echtzeit verfolgen: Da hebt sich ein Zeh tastend in die gedachte Richtung, da folgt ein Mundwinkel. Allein die Mimik von Jone San Martin ist von einer fast bestürzenden Ausdruckskraft; jede emotionale Nuance erzählt von der Planung, der Vorsicht, der Angst, der Hoffnung und der Lust beim Verlagern des Gewichtes von einem Bein auf das andere.

Schwarmintelligenz der Körper

Alles an dieser Choreografie ist minimalistisch, geprägt vom Variantenreichtum kleiner und kleinster Bewegungen. Die Bühne ist ein weißer Kubus; die Unisex-Kostüme in allen Grau-Schattierungen bestehen aus raffinierten Rohformen unterschiedlicher Hosen und kastenförmiger Oberteile, die Stoffkanten scheinbar mit der Schere geschnitten – alle gleichen sich, jedes Outfit ist anders. So unterschiedlich die Körperproportionen, so unterschiedlich die Umsetzung desselben simplen Grundschritts, der das Publikum nach und nach in Trance wiegt.  

Vögel- und Fischschwärmen, aber auch Säugetierherden verfügen über die faszinierende Fähigkeit, sich störungsfrei gemeinsam in eine Richtung zu bewegen, ohne ihre jeweiligen Nachbarn zu bedrängen. Menschen wird zwar auch eine Schwarmintelligenz zugesprochen, aber damit ist eher das konstruktive Anhäufen und Abgleichen von Wissen gemeint. In Sachen Körperintelligenz ist es um die menschlichen Fähigkeiten durchweg schlechter bestellt: Veränderungen des individuellen Bewegungs-Spielraums führen schnell zu Staus oder Kollisionen. In „Mellowing“ kann man Zeuge werden, wie das Wissen um die eigene Bewegung mit schöner Selbstverständlichkeit auch die Relation zu den benachbarten Körpern einschließt. So verdichtet sich die Gruppe der Elf in flüssiger Selbstverständlichkeit bis hin zu einer Formation, in der alle das gleiche und ganz und gar nicht dasselbe tanzen. Die Choreografie bleibt auch auf engstem Raum berührungsfrei – und lehrt dabei, wie Zusammenspiel funktionieren kann. 

Eröffnet wurde die diesjährige Tanzbiennale, die zum 6. Mal durch den Zusammenschluss des Städtischen Theaters mit dem UnterwegsTheater in der TANZallianz ermöglicht wurde, von den jeweiligen Theaterleitern Holger Schulze und Bernhard Fauser sowie den beiden für die Programmauswahl Verantwortlichen Iván Pérez und Jai Gonzales. Gebührender Dank ging dabei nicht nur an Stadt und Land, die trotz knapper Kassen der Biennale Priorität eingeräumt haben, sondern besonders der Lautenschläger-Stiftung, die mit einem großzügigen Förderbeitrag von 200 000.- €. das internationale Niveau des Festivals gesichert hat.

Ansonsten gab es ein Eröffnungsprogramm, wie es sich für ein großes Tanzfest gehört: Mit der Eröffnung einer Best-of Ausstellung von Fotos aus fünf Tanzbiennalen des Heidelberger Tanzfotografen Günter Krämmer; mit einer Lichtinstallation des Heidelberger Architekten Nils Herbstrieth; einer Flash Dance Action des UnterwegsTheater-Ensembles und schließlich einer Party für alle.

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