Von Körpern und Erinnerungen
„Through the Grapevine“ von Alexander Vantournhout, „My body of coming forth by day” von Olivier Dubois und die Uraufführung von Akemi Takeyas „The Act of LemoDada“ bei ImPulsTanz
Der rumänische Choreograf Sergio Mattis setzt sich schon seit längerem mit der Vergänglichkeit unserer Welt auseinander. Nun ist er mit „Earth Works“ bereits das vierte Mal bei ImPulsTanz zu Gast. Auf der leeren Bühne vor einem weißen Hintergrundprospekt, der in unterschiedlichen Farben beleuchtet wird und auf dem auch die gesprochenen Texte zu lesen sind, entstehen tänzerisch unterschiedliche Landschaften. Acht Autor*innen aus aller Welt haben sich mit der Natur in ihrer Umgebung bzw. Orten, die ihnen am Herz liegen, beschäftigt. Sie beschreiben unter anderem auch, wie sich die Natur durch Eingriffe des Menschen verändert hat. Diese Eingriffe sind auch in der Musik von Antye Greie-Ripatti (AGF) zu hören, denn neben Naturgeräuschen lärmen auch immer wieder Maschinen.
Fünf Tänzer*innen, darunter Mattis selbst, sprechen während der knapp 90-minütigen Performance Textausschnitte. Die vollständigen Texte liegen als Booklet zum Nachlesen auf den Sitzen auf. Matis hat eine spannende Bewegungssprache entwickelt: Impulse fließen leicht stockend durch den Körper. Wie Wasser, das nicht mehr frei fließen kann, weil es künstlich reguliert wird. Vor allem am Anfang wirken die Tänzer*innen entwurzelt, suchen noch ihren Platz auf dieser Welt. Dabei bleiben sie auch in den Gruppenszenen einander eher fremd und distanziert, scheinen keine Verbindung mehr aufbauen zu können. Für das gleichzeitig roh und verletzlich wirkende Stück gibt es am Ende viel Applaus.
Tanzend dem Abgrund entgegen
Perfektionistisch erscheint im Gegenteil „Homo Faber – The Origin“ des koreanischen Choreografen Kyoung Shin Kim für seine Company Unplugged Bodies. Auf der Bühne stehen große Schachteln in Reih und Glied. Noch während das Publikum Platz nimmt, ist ein Tänzer damit beschäftigt, die Anordnung zu kontrollieren und leicht zu verändern. Am Beginn müssen die neun Tänzer*innen ihr Überleben sichern. In den Kartons entdecken sie Werkzeuge, sie beginnen mit der Herstellung von Maschinen. Doch das Fließband wird schneller und schneller, die Menschen müssen sich den Maschinen anpassen.
In der Ferne hört man immer wieder Detonationen, Granaten werden geworfen. Nicht alles, was der Mensch erfunden hat, ist zum Wohle der Welt geworden. Man erkennt, dass sich die Menschen in einem Bunker befinden. Zum „Walzer Nr. 2“ aus der „Suite für Varieté-Orchester“ von Dmitri Schostakowitsch wird dem Abgrund im wahrsten Sinne des Wortes entgegengetanzt. Ein Spielzeugpanzer fährt über die Bühne. Blutrote Blütenblätter fallen immer wieder auf die Bühne, dazwischen haben sich auch weiße verirrt. Die Menschheit scheint dem Wahnsinn verfallen zu sein, denn unbeirrt vom Kriegsgeschehen machen die Menschen ihr Ding. Einzig das immer wieder eingespielte „Lacrimosa“ aus Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ scheint Ruhe und Erlösung zu bringen. Am Ende fällt ein Schwall roter Blütenblätter, der kurz wie eine Wand wirkt, auf die Bühne.
Kyoung Shin Kim hat einen sehr deutlichen Kommentar zum Weltgeschehen abgegeben, denn Kriegszustände werden weltweit immer mehr. Seine Bewegungssprache wirkt sehr zeitgenössisch fließend, die neun Tänzer*innen sind perfekt geschult und harmonieren gut miteinander. Berührt stimmt man nachdenklich in den frenetischen Applaus ein und wünscht sich, in Zukunft mehr von Kyoung Shin Kim zu sehen.
Blick in die Zukunft
Die Uraufführung von „Transient Shifts“ beginnt mit viel Text: 2045 wird der Planet Ayviss entdeckt. Dessen Bewohner*innen existieren in einem gasförmigen Zustand, können sich schneller als Licht bewegen und benötigen nur auf der Erde, die sie immer wieder besuchen, eine menschliche Hülle. Auch die Menschen könnten diesen Zustand erreichen, wenn sie dafür trainieren. In ein solches Trainingslager lädt die seit 25 Jahren in Wien lebende japanische Choreografin Akemi Takeya nun das Publikum. Am linken Bühnenrand sitzt Oleg Soulimenko auf einem sich ständig drehenden Hocker. Er bewegt sich in Zeitlupe, hat immer wieder unterschiedliche Requisiten in der Hand. Seine Rolle wird nicht klar: Ist er Guru, Abgesandter von Ayviss oder soll er gar Ayviss darstellen?
Ausbildner*innen sind die beeindruckende Zoé-Afan Strasser und Evandro Pedroni. Sie erklären die einzelnen Abschnitte des Trainings. Takeya hat für sie eine Bewegungssprache gefunden, die an Androiden aus alten Science-Fiction-Filmen erinnert. Fünf Performer*innen versuchen, diesen neuen Aggregatzustand zu erreichen. Es scheint zu funktionieren, denn nach langen 90 Minuten machen sie sich – untermalt von Maurice Ravels „La Valse“ auf zu Ayviss. Der Tanz kommt allerdings in dieser Performance zu kurz. Viel mehr scheint das Erzählen der Geschichte rund um Ayviss im Vordergrund zu stehen. Auch die toll aussehenden Kostüme von Ruth Erharter schränken teilweise die Bewegungsfreiheit ein. Am Ende spendet ein eher ratloses Publikum freundlichen Applaus.
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