„Paysage“ von Compagnie Abis / Julien Carlier. Tanz: Benoit Nieto Duran, Iris Brocchini & Fabio Amato

Auf Wanderschaft

„Paysage“ von Compagnie Abis / Julien Carlier in Freiburg

Die Koproduktion im Theater Freiburg entwickelt atmosphärisch dichte Momente. Manche spannenden choreografischen Ansätze hätten noch konsequenter weiterentwickelt werden können.

Freiburg, 01/02/2025

Es könnte der Schwarzwald sein, dessen Ausläufer man als Silhouette sieht - aber auch jede andere Berglandschaft oder entfernte Dünen in der Wüste: wie eine unendliche Wanderung auf einem Hochplateau mutet die Choreografie von Julien Carlier an. Er ist mit seiner Brüsseler Compagnie Abis zu Gast am Freiburger Theater, das seine neueste Arbeit „Paysage“ koproduziert und zur deutschen Erstaufführung gebracht hat.

Die Compagnie Abis wanderte nicht nur im Vorfeld der Produktion mehrere Tage lang, um der Erfahrung einer langen Wanderung physisch nachzuspüren, sondern begab sich zusätzlich auf „Wanderschaft“ von einem Koproduktionsort zum anderen, um ihr Projekt zu entwickeln. Der Choreograf Julien Carlier ist assoziierter Künstler am Theater in Lüttich, das diese Produktion ebenso unterstützt wie Charleroi Danse, das Freiburger Theater und einige andere Institutionen.

Was kann eine Koproduktion für die Künstler*innen beinhalten und leisten? Organisations-Coaching, dramaturgische Beratung, Kostüme, Bühnenequipment und nicht zuletzt von jedem Ort ein wenig Geld, um die Produktionskosten zu stemmen. Im Prinzip wären also die beteiligten Künstler*innen allesamt moderne Nomaden - vielleicht kommt daher die Faszination für das Unterwegs-Sein? Und die Sehnsucht nach der Natur?

Doch zurück zur Produktion: in puncto Kostüm hätte wohl eine professionellere Beratung gutgetan, um die im zeitgenössischen Tanz übliche Alltagskleidung auszutauschen. Stilisierte Kostüme hätten den Gesamteindruck zusammen mit dem minimalistischen, aber optisch wirkungsvollen Bühnenbild und der feinen Beleuchtung ästhetisch aufgewertet.

Denn „Paysage“ entwickelt durchaus atmosphärisch dichte, ja magische Momente, vor allem in der Durchhaltekraft der drei Tänzer*innen: ein ewiges sich Fortbewegen, ruckhaftes Aufbegehren, ein sich Herausreißen aus der Monotonie der Wanderung.

Laufen im Kollektiv bis zur Erschöpfung, minimalistische Abwandlungen des Laufmotivs, unterbrochen von Ausbrüchen der Einzelnen, ein gegenseitiges sich Tragen bei drohendem Kraftverlust - all dies tritt in einen sehr interessanten Dialog zu der live eingespielten elektronischen Soundcollage, die Julien Carliers Bruder Simon beisteuert. Faszinierend ist es zu sehen, wie er sich innerlich mit dem Puls der laufenden Gruppe verbindet und sie antreibt! Immer wieder übernimmt er die Steuerung der Szene, indem er den Beat vorgibt: zum Beispiel eine 8-ter Phrase, die immer auf 7 einen Wechsel in der Laufrichtung hervorruft. Zuerst ganz monoton hintereinander, dann interessant variiert mit Wechseln auf anderen Counts. 

Allerdings hätte dies choreografisch noch weiter zu einer komplexeren Tanzsequenz entwickelt werden können. Denn Tanzbewegungen werden in „Paysage“ nur sehr wenig eingesetzt und wenn, dann ist es das obligatorische Abstützen auf einer Hand und Herunterrutschen aufs Knie, das der zeitgenössische Tanz immer wieder präsentiert, oder es sind von den Tänzer*innen frei gestaltete Breakdance-Moves. 

Insgesamt entwickelt der Abend aber eine große Sogwirkung. Wenn die Tänzer*innen völlig erschöpft zu Boden sinken und regungslos da liegen vor der in Orange- und Blautönen beleuchteten Rückwand und mit immer eindrucksvollerer Musik, dann läuft im Kopf ein Film ab: von der großartigen Kraft der Natur, vom Menschen, der vor ihr kapitulieren muss! Die Bühne erweitert sich in Gedanken in eine großartige Kulisse, in eine unendliche Landschaft, mit der sich der Mensch nicht messen kann. Spätestens da haben Julien und Simon Carlier das Publikum in ihre Welt geholt und entlassen es am Ende mit einem bereicherten Innenleben. Ein sehenswerter Abend!

Kommentare

Noch keine Beiträge