„A Year without Summer“ von Florentina Holzinger: Achan Malonda, Andrea Baker, Bärbel Warnke, Brigitte Ulm, Constanza Pérez de Lara Bonatti, Fibi Eyewalker, Florentina Holzinger, Jil Liane Schmidt-Fritsche, Luz De Luna Duran,  Netti Nüganen, Renée Eigendorff, Renée Copraij, Sahel van K,  Saioa Alvarez Ruiz,  Sophie Duncan, Sue Shay, Xana Novais

Nur Monster leben ewig

Florentina Holzinger meldet sich zurück an der Volksbühne Berlin mit „A Year without Summer“

Horrorgeschichte oder Musical? Florentina Holzinger will sich nicht so recht entscheiden und liefert einfach beides in einem intergenerationellen feministischen Theaterabend.

Berlin, 22/05/2025

Am Ende, nach der Apokalypse, wird es dann ganz gemütlich. Nach zwei Stunden fällt Schnee vom Bühnenhimmel, und Bláthin Eckhardt dreht auf Schlittschuhen elegant ihre Runden in einem runden Lichtkreis, bis die Letzten den Saal der Volksbühne verlassen, während noch die zarten Queen-Worte „Who wants to live forever“ in den Ohren nachhallen. 

Der Weg dahin ist allerdings kein leichter, wie es für eine Performance von und mit Florentina Holzinger zu erwarten ist. Das gilt für Publikum wie Performerinnen gleichermaßen. „A Year without Summer“ heißt das Stück, das am Mittwoch an der Volksbühne Berlin Premiere hatte – Holzinger wird hier ja Teil der künstlerischen Leitung ab nächster Spielzeit. 

Der Titel bezieht sich auf das Jahr 1816, als es aufgrund eines Vulkanausbruchs in Indonesien weltweit zu einer Verdunkelung des Himmels, Missernten und einem eher kalten Sommer kam. Diesen nutzen einige Literat*innen u.a. Lord Byron und Mary Shelley dazu, sich in einer Villa am Genfersee einzuschließen: „Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten, um die emotionale Leere zu füllen.“ Die bekannteste ist Frankenstein, das Monster, das aus Menschenteilen erschaffen wird, geschrieben von Mary Shelley.

Der maskuline Blick seziert die Frauen, die Frauen sezieren ihn

Doch vor den Frankenstein hat Holzinger die Utopie gesetzt, denn statt Grusel könnte man sich ja auch einfach aneinander freuen und wärmen, und so beginnt dieser Abend mit einer ausführlichen Orgie aller 33 mitperformenden Frauen. Erst langsam tanzend wie bei einem Tanztee im Altersheim, dann aber bald in voller Action miteinander (oder auch einem Musikinstrument). Auffällig ist, dass nicht nur viele bekannte Gesichter dabei sind, sondern auch fünf Performerinnen, die den Altersdurchschnitt der Gruppe deutlich nach oben treiben dürften. Intergenerationelles feministisches Theater sozusagen. Denn trotz des bisweilen etwas softpornösen Einstiegs ist klar: Hier brodelt etwas. Wenn mit Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ wie im Film 2001 etwas Neues in einem großen strahlenden Lichtkranz beginnt, ist klar, hier kommt noch was.

Zunächst ist das eine riesige aufblasbare Frauenpuppe ohne Arme und und Beine, aber mit Vulva (Bühne: Nikola Knežević). Aus dieser purzeln die Performerinnen in Arztkostümen, und dann kommt auch noch Siegmund Freud auf die Bühne, um den Penisneid am lebenden Objekt zu erklären. Denn für den männlichen Blick, so die unausgesprochene These des Abends, ist der weibliche Körper nur ein zusammengesetztes Monster aus Körperteilen, die es maskulin zu meistern gilt. Also sucht Freud nach Penisneid und Hysterie und findet sogar mittels Endoskop die Vagina Dendite, eine mit Zähnen bewehrte Vagina, die Männer einfach kastriert. Weil man Holzinger ja alles zutraut, so wirkt diese endoskopische Fahrt zunächst real, bis dann die Zähne kunstvoll zubeißen (Videodesign: Zoe Bassi und Max Heesen).

Nach Freud liefern sich der Nazi-Doktor Josef Mengele und der französische Oberrassist Georges Cuvier einen Mega-Battle, den der Franzose mit der Feststellung, er habe Rassismus zu einer Wissenschaft gemacht für sich entscheidet. Saioa Alvarez Ruiz und Achan Malonda geben sich alle Mühe, diesen männlichen Monstern gerecht zu werden. Alvarez Ruiz etwa fordert, dass sie in einem Blockbuster nicht als Opfer der Experimente sondern als Protagonistin besetzt werden solle, und Malonda, die selbst schwarz ist, schildert beeindruckend, wie Cuvier aus pseudo-wissenschaftlichem Interesse eine schwarze Frau zerstückelt. Schwerer Tobak, bei dem Frankenstein klar durchschimmert. Dass gleich zu Beginn auch noch eine kleine Figur aus einer vernähten Wunde herausoperiert wird – als Urgeburt und in projizierter Großaufnahme – macht es nicht einfacher.

Das Monster als Musical

Allerdings ist dieser Menschen-Monsterhorror auch weniger schlimm als gedacht, denn er funktioniert durchweg als beschwingtes Musical mit lustiger Musik und eingängigen Songs. Hatte sich Holzinger in „Ophelia's got Talent“ noch die Casting-Shows und in „Sancta“ die katholische Messe als Form herausgepickt, ist es nun das Musical mit Revuecharakter – dank toller Band an beiden Bühnenseiten unter der musikalischen Leitung von Born In Flamez und Stefan Schneider. An den schmissigen Songs hat zudem Josephinex Ashley Hansis mitgeschrieben. Und die Damen in ihren Arztkitteln geben wirklich alles, inklusive Trapeznummern und Trampolinsprüngen im Hintergrund. Derweil fließt das Monsterthema unmerklich in die Unsterblichkeit. Erst erobert ein ganzer Rudel mechatronischer Hunde die Bühne, dann fordert Xana Novais zum ultimativen Lifting und lässt sich Angelhaken durchs Gesicht jagen, um dann in einer Heavy-Metal-Apotheose gen Himmel zu steigen.

Doch halt, es geht ums ewige Leben, und das ist sicher nicht eine solche Finalitätsfantasie sondern vielmehr die Hölle auf Erden. Die Bühne wandelt sich in ein gigantisches Altersheim, in dem alles in Kotflüssen ertränkt wird. Das Monster Mensch in seinen ewigen unkontrollierten Ausscheidungen wird gesteigert bis zur maximalen Groteske, zur Kot-und-Kotze-Apokalypse. Das ist mehr als nur ein Kommentar zur Problematik von unterbezahlten Care-Berufen, die oft von Frauen ausgeübt werden. Es ist vielmehr die brutalstmögliche Allegorie. Niemand will, kann und soll ewig leben. Nur das Monster muss, das hier in klassischer Frankenstein-Montur das Schlusswort hat. Und die Schönheit, auch sie ist unsterblich in ihrem Kreisen im Schnee.

Wohldosierte Schockmomente

Holzinger gelingt hier ein Abend, der inhaltlich konzentrierter und stringenter daherkommt als die vorherigen. Geradezu organisch entwickeln sich die inhaltlichen Stränge und wickeln sich immer wieder umeinander, während zugleich das revueartig nach vorne Treibende der Performance erhalten bleibt. Individuelle Erfahrungen, literarische Phänomene und philosophische Fragen bilden ein enges Gewebe. Zugleich sind die erwarteten Schockmomente wohldosiert und dramaturgisch klar eingebunden. Holzinger lädt ins Theater wie Shelley in die Villa am Genfer See, um Geschichten über Monster zu erzählen und führt zurück auf das Grundthema des Orakels: „Erkenne dich selbst!“ Dass dabei selbst das Schrecklichste noch verlacht werden kann, ist sicher nicht der schlechteste Ansatz.

 

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