„Escape“ von Helene Weinzierl / CieLaroque

Wer drückt die Stopp-Taste?

Helene Weinzierl gastiert mit „Escape“ im Mannheimer EinTanzHaus

Ein überraschender Fall von Nachhilfe-Unterricht in Sachen demokratischer Entscheidungsfindung.

Mannheim, 03/05/2025

Zum fünften Mal stellt man sich im Mannheimer EinTanzHaus die bange Gegenwartsfrage „Und jetzt?“.  Höchst unterschiedliche Antworten darauf bieten die Tanzgastspiele im gleichnamigen Festival; den Auftakt machte die Salzburgerin Helene Weinzierl. Mit ihrer hauseigenen Truppe cieLaroque gilt sie seit 30 Jahren als bewährter Kulturexport mit gesellschaftspolitischer Botschaft; in der zum Tanzhaus umfunktionierten denkmalgeschützten Kirche gehört sie zu den Stammgästen. 

Die Versuchsanordnung in ihrer jüngsten Choreografie „Escape“ ist einfach, der Tanz dagegen hat es in sich. In einem schwarz verhangenen Raum wird die Bühne durch einen kreisrunden Stuhlkreis für die Zuschauer begrenzt. Die drei Akteure (eine Frau zwei Männer) agieren in immer größer werdenden Lichtkreisen, bis sie die gesamte Bühne bis zur Beinahe-Tuchfühlung mit dem Publikum ausloten. Anfangs kreisen sie in einer kleinen Lichtinsel (zu einer Minimal-Komposition mit Trance-Potenzial) synchron, aber berührungsfrei im Wiegeschritt umeinander. In diesen selbstgenügsamen Kosmos greifen Beschleunigung, Wiederholung, individuelle Bewegungsmuster, Begegnungen auf Abstand, plötzliche Explosionen und rauschhafte Phasen ein – bis alles von vorne anfängt. Ein raffinierter Musikschnitt suggeriert endlose Wiederholungen, bei denen alle Elemente immer schneller aufeinander folgen. Die drei Protagonisten arbeiten sich dabei bis zur sichtbaren Erschöpfung an den nicht enden wollenden Herausforderungen ab. 

Und wer drückt am Ende die Stopp-Taste? In einer Demokratie ist es die Mehrheit – und so fordert ein Sprecher zuletzt das Publikum heraus, durch lautstarke Signale dem Tanzen bis zum bitteren Ende Einhalt zu gebieten. Die BesucherInnen reagierten höchst unterschiedlich, ganz wie in einer bunt zusammengewürfelten Gesellschaft: mit Zögern, verhaltenen Äußerungen, engagiertem Protest – oder schweigend, wie es die vielzitierte Mehrheit auch in jeder Demokratie bevorzugt. Erst als die gefühlte 50-Prozent-Hürde der Meinungsäußerung erreicht ist, werden die Tänzer aus ihrer Dauerschleife erlöst - ein überraschender Fall von Nachhilfe-Unterricht in Sachen demokratischer Entscheidungsfindung. 

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