„Follow me!“ – und wenn nicht?

CieLAROQUE / Helene Weinzierl mit „Rhythmus und Rausch“ in der ARGE Salzburg

Publikum im Bühnenraum, interaktives Tanztheater, schauspielerische Elemente und Gesangseinlagen: das Eröffnungsstück des tanz_house Festivals 2022 entwickelt sozialkritische Rhythmen und einen puzzlehaften Rausch.

Von Miriam Ljubijankic

Eine Akteurin holt das Publikum an der Saaltür ab mit den Worten „follow me“. Wie sie in nahezu aggressiver Freundlichkeit das Publikum um sich schart, erinnert das wiederholende „follow me“ an die „Follower-Kultur“ in diversen sozialen Medien. Kurz darauf festigt sich das Gefühl, denn sie beginnt – mitunter in englischer Sprache – kosmetische Tipps zu geben, die sie mit ihrem Körper tänzerisch untermauert. Mit diesem Einstieg in „Rhythmus und Rausch“ von CieLAROQUE / Helene Weinzierl wird, ohne es auszusprechen, performativ erklärt, wie die Gestaltung der Bewegungsräume in der nächsten Stunde stattfinden wird: sowohl durch die bis zu elf Performer*innen als auch das Publikum. Denn letztlich sind es die Zuschauer*innen, die das Eröffnungsstück des diesjährigen tanz_house Festivals in der ARGE Salzburg gestalten und begrenzen.

Die Spielfläche ist vorerst eine einzelne und im Verhältnis zum gesamten Raum recht klein. Schon bald nimmt das Publikum aber weitere Geschehnisse im Raum wahr. Ein Körper, der in der linken hinteren Ecke mit seinem Spiegelbild interagiert. Ein anderer, der im Zusammenspiel mit einer Frau in der hinteren rechten Ecke auf einem Stuhl ihrer beider Charaktere vorstellt. Beide Szenarien entwickeln sich unabhängig von der Aufmerksamkeit des Publikums – die Zusehenden sind gefordert, selbst darauf aufmerksam zu werden und genau das geschieht auch. Die Verlagerung des Fokus im Publikum teilt nun die Bühne in drei Flächen, später in zwei und schließlich wieder in eine große Gesamtfläche. Von Beginn an wird das Publikum in die Vorstellung integriert und interagiert mit dem Geschehen.

Ein Bewegungsvokabular, das vor allem Fans des Zeitgenössischen Tanzes abholt, aber auch der kontinuierliche Austausch mit den Zuschauer*innen während der 65-minütigen Performance prägen den Abend. Immer wieder fügen sich Personen aus dem Publikum fließend ein. Erst nach ein paar Momenten des Hinterfragens, was hier gerade passiert, wird klar, dass das Ensemble wieder um ein oder zwei Mitglieder erweitert wurde. Subtil gefordert, sich immer wieder neu zu entscheiden, welcher Fokus gesetzt werden soll, verfolgt das Publikum die Performance. Dabei wird performativ zur sozialkritischen Reflexion von Einflüssen durch soziale Medien, Werbeplattformen, Arbeits- und Alltagrealität und der Flucht aus ebendiesen Welten angeregt.

Zur gleichen Zeit ist es aber auch einfach wunderbare Unterhaltung, die ihr Publikum durch Interaktion und parallel stattfindende Geschehnisse im Raum herausfordert. So richtig auf einen Rhythmus kann sich wohl niemand einlassen, denn kaum ist er gefunden, ändert sich das Spiel schon wieder – es erinnert an das zeitgenössische Lebensgefühl der letzten Jahre zwischen Pandemie, gesellschafts-, inner- und außerpolitischen Krisen. Ein sozialkritisches, interaktives Tanztheater mit narrativen Elementen und Gesangseinlagen, das aufzeigt und spürbar machen kann, wie nahe Rhythmus und Rausch beieinanderliegen – auch in der Notwendigkeit, aus dem jeweils anderen auszubrechen.
 

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