Trauma, Freundschaft und Identitätspolitik

Eindrücke zum ersten Wochenende des tanz_house Festivals „tanz fest“ in der ARGE Salzburg 2022

Drei unterschiedliche, auf ihre Weise berührend und persönliche Inszenierungen, begeisterten das Publikum.

Salzburg, 18/10/2022

PAULA

Die Performerin Iris Heitzinger verbindet in der Kooperation mit der editta braun company Schauspiel und Tanz in fließenden Übergängen. Licht und Klang spielen in der Bildung der Atmosphäre eine essenzielle Rolle. Während das von metallischen Elementen geprägte Bühnenbild durch die Lichttechnik eine schwarz-weiß Ästhetik annimmt, sind die Klänge von unterschiedlichen Naturen. Besteck klappert metallisch auf der silbernen Metallbox und am Boden; Iris Heitzinger singt hier, als würde sie sich selbst beruhigen, da als wäre sie im belustigten Rausch – seufzt erwartungsvoll und schreit verzweifelt und erschütternd.

Der quadratische performative Raum wird von einem Draht in spiralform begrenzt, wodurch bereits zu Beginn der Aufführung die Assoziation mit einem Gefängnis entsteht. Darüber hinaus hängen Drähte von der Decke, ebenso ein grauer Mantel an einem Metallkleiderhaken. Ein farbneutrales Bild, in dem die Performerin mit den vorhandenen Requisiten interagiert. Gefangen in der Performance erinnert sie mit ihrer körperlichen Darstellung durch Pantomime, Tanz, Schauspiel und Mimik ergreifend an die Verarbeitung traumatischer Ereignisse. Welches traumatisierende Ereignis überwunden wird, bleibt offen – das Trauma der Industrialisierung über Natur? Die Isolation im Zuge einer Pandemie? Oder doch ein ganz persönliches Erlebnis? Es bleibt den Zusehenden durch die authentische, auf den Prozess reduzierte Darstellung selbst überlassen. Überwindung und Rückfall, sich abfinden und daran verzweifeln, liegen nahe beisammen bis im ergreifenden Finale letztendlich kräftige Farbe in das Bühnenbild gleitet.

FRIEND.SHIFT

Am zweiten Abend des Wochenendes sind es zwei Duette, die das Programm gestalten. Im ersten Stück zeigen Farah Deen und Olivia Mitterhuemer von Potpurri die körperliche Manifestation einer langjährigen Freundschaft mit allem was dazugehört. Synchronität wie Asynchronität. Gemeinsame Tempi, wie unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten. Einander zugewandt, nebeneinander bewegend, einander den Rücken zugewandt. All diese Faktoren spiegeln sich in der tänzerischen Umsetzung der Performerinnen, die sich zu Beginn hintereinander positioniert synchron zu den Rhythmen von Kwamé Ba bewegen. Dabei entsteht der Eindruck einer Einheit. Im Laufe des Stücks ändern sich die körperlichen Positionen zueinander, aber auch zum Publikum. Sowohl frontal als auch mit der Körperrückseite zum Publikum agieren die beiden nebeneinander. Egal zu welchem Zeitpunkt des Stücks ist also stets nur „entweder“ „oder“ möglich. Das Publikum kann als externes Umfeld nie zeitgleich dieselbe Perspektive einnehmen, wie die jeweiligen Freundinnen.

Unterschiedliche (Lebens-)Rhythmen und Wege spiegeln sich nicht nur in offensichtlichen choreographischen Momenten ab, in denen sich die beiden Körper von Fuß bis Hand und im Raum asynchron bewegen. Auch in feinen Details wird dies sichtbar, etwa wenn die beiden Tänzerinnen am Boden knien und sich nur ihre Finger, die, mit der Handfläche gen Boden ausgerichtet, auf die Bühne tippen. Oder wenn eindrucksvoll mit dem Rücken am Boden liegend und den gestreckten Extremitäten entlang der Längsachse synchrone und asynchrone Bewegungen mit unterschiedlichen Gliedmaßen ausgeführt werden, bis es schließlich zu Verkeilungen der beiden Körper kommt.

Wie unterschiedlich die Rhythmen auch sein mögen, immer wieder finden sie Möglichkeiten, einander zu stabilisieren und der jeweils anderen Raum zu geben. Im Tanzstil findet sich Bewegungsvokabular aus populären Tanzrichtungen wie Hip Hop und African Dance. Potpourri mischt dieses Bewegungs- und Rhythmusvokabular performativ und kreiert daraus ein szenisches Duo mit Körperlichkeiten, die nicht eindeutig sind – womöglich auch gar nicht sein wollen, denn das Leben mit all seinen „Shifts“ und „Friendships“ ist es immerhin auch nicht.

IDENTITY:ANONYMOUS

Mit „identity:anonymous“ schließen die Performerinnen Juliana Vargas Rodríguez und Júlia Farkas dieses Wochenende ab. Die beiden Tänzerinnen stehen vor der Rückwand im requisitenleeren Bühnenraum, der von den Wänden und dem bestuhlten Publikumsraum begrenzt wird. An der Rückwand sind Personaldokumente projiziert. Aus den Lautsprechern tönt repetitives Klopfen, das an das Ticken einer Uhr erinnert, aber durch den endlosen Charakter auch den Eindruck einer Sisyphus-Situation erweckt.

Noch während die Tänzerinnen mit dem Rücken zum Publikum stehen und die Körper sich zum Klopfen in Schritten nach Links und Rechts bewegen, ohne merklich von der Stelle zu weichen, werden durch eine männliche Sprechstimme die Charaktere vorgestellt. Die Arme bewegen sich schließlich in Mustern und Bewegungsvokabular wird dem Text zugeschrieben. Der Text besteht aus der Verbalisierung von Vorurteilen gegenüber den Herkunftsländern der vorgestellten Charaktere – Kolumbien und Ungarn. Vereinzelte Lacher im Publikum scheinen unangemessen, versuchen sich doch die Tänzerinnen aus dem Kreislauf der reduzierenden Vorurteile freizutanzen, während die Einschränkung der Worte in der Choreographie aufgegriffen wird. Die Erweiterung von Bewegungsmaterial ist kaum möglich, geschweige denn freie und asynchrone Bewegung im Bühnenraum. Nach und nach wird mit den Vorurteilen gebrochen, das Ticken verstummt, der Rhythmus wird in den Körpern fortgesetzt bis es wieder ertönt. Das Bewegungsmaterial wird erweitert, der Raum genutzt, asynchrone Körperlichkeit wird möglich. Letztlich weichen auch die Körper vom tickenden Klopfen ab, wodurch sich die spannungsgeprägten Körper radikal verändern. Stolpern. Fallen. Der Kampf gegen den Rhythmus – oder gegen die Vorurteile? – scheint sowohl extern als auch intern der Tänzerinnen ausgefochten zu werden. Durch die eigene Identität vorverurteilt und dadurch anonymisiert. Mit der Frage danach, was es ausmacht, ungarisch oder kolumbianisch zu sein, fallen die Performerinnen wieder in den Gleichschritt. Ist es nicht möglich aus den Vorurteilen zu entkommen? Findet man Frieden und dadurch wieder in den Rhythmus? Ist die Akzeptanz der Unbeantwortbarkeit der Frage die Lösung?

Der Publikumsraum ist zu jeder Vorstellung nahezu restlos befüllt und ein Wochenende voller berührender, emotionaler und persönlicher Aufführungen geht mit Standing Ovations, kräftigem Applaus und Jubelrufen nach jeder Vorstellung zu Ende.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern