„Tanz schafft Räume“
Tanzplattform 2024 in Freiburg eröffnet
Graham Smith verabschiedet sich von seiner „School of Life and Dance“ in Freiburg
Mit einer groß angelegten Inszenierung verabschiedet sich Graham Smith zusammen mit seiner „School of Life and Dance“ – einstmals aus dem Jugend-Tanz-Kollektiv des Freiburger Theaters hervorgegangen – vom Freiburger Publikum und vielleicht noch mehr von seinen Schüler*innen. Denn Wehmut ist zu spüren bei diesem Abschiedsprojekt, nach insgesamt 14 Jahren regelmäßigen Trainings in verschiedenen Gruppen und vielen gemeinsamen Laientheaterprojekten, das die Teilnehmer*innen mit Graham Smith und seiner Partnerin Maria Pires verbindet.
Smith, ehemaliger Tänzer bei Joachim Schlömer (in Ulm, Weimar und Freiburg) und seit 2011 fest angestellt am Freiburger Theater für die Leitung dieser Jugendkultur-Gruppe, hat das Ensemble in den vergangenen Jahren immer weiter entwickelt zu einem Mehrgenerationen-Projekt: So performen an diesem Abend sage und schreibe 210 Menschen von jung bis alt auf der sich durchgängig drehenden Bühne des Großen Hauses. Dass ist nicht immer ganz übersichtlich, aber der Choreograf setzt auch nicht auf kleinteilig dargestellte Szenen, sondern es geht um das große Ganze, und da gelingen eindrückliche Bilder.
Welche Verantwortung haben wir?
Mit großformatigen Projektionen von aktuellen Umweltkatastrophen, Bildern von Überschwemmungen, Sturm und Smog stellt er die Frage: Wieviel Leid hält die Welt aus? Und wieviel Verantwortung müssen wir alle einst für unser (Nicht-) Handeln übernehmen? Aber Leid und Leidenschaft sind eng verwandt und um diese geht es in seiner „Passion“-Inszenierung. „Leidenschaft gibt uns die Energie, unsere Träume zu verwirklichen“, schreibt er selbst im Programm - und genau dieser Wunsch, die Probleme zu überwinden und auf Besseres zu hoffen, blitzt immer wieder in kurzen Momenten des Stückes auf. „Extreme Gefühle jenseits der Vernunft“ möchte er darstellen und verfängt sich doch immer wieder in so großen Massenszenen, dass gar keine Gefühle beim Publikum aufkommen können, weil auch kaum Platz auf der Bühne bleibt, um sich künstlerisch zu bewegen.
Zwar gibt die Drehbühne immer wieder den Blick frei für neue Gruppierungen, die in kleinerer Besetzung auch zum Tanzen kommen: Da dürfen sich die jüngeren Teilnehmer*innen in schönen, dynamischen Tanzkombinationen erproben, insgesamt überwiegt aber der Eindruck einer großen Menge an Schüler*innen, die Smith alle an dem Projekt teilnehmen lassen wollte. Darstellerische Energie entwickelt die Gruppe, wenn sie sich zu agitativen Sprechchören zusammen findet und zum Beispiel mit dem „Mach kaputt“- Song der Deutschrock-Band Ton Steine Scherben zur Veränderung aufrufen. Oder mit dem „Einheitsfrontlied“ von Bertolt Brecht kämpferisch nach vorne an die Rampe bewegen, da entstehen starke Bilder.
Starke Bilder, melancholische Bilder
Besinnlich bis traurig wird es bei der Adaption „Danced all night“ von den Tiger Lilies, wo ein ruhiger kollektiver Paartanz plötzlich durchbrochen wird von einem Schuss und einer jungen Frau mit Koffer, die tot umfällt. In einer anderen Szene wird zu Bachs „Erbarme Dich“ aus der Matthäus-Passion voller Melancholie getanzt, diese Musikauswahl wirkt angesichts der sonstigen lautstarken Soundkulisse allerdings doch sehr weit hergeholt.
Manch starke Bilder gelingen mit stummen Schreien oder sehnsuchtsvollen Gebärden der Allerjüngsten, die, kaum im Grundschulalter, hier schon mittanzen. Am Ende ist das Schlussbild sehr bewegend: Über eine Rampe und Treppe der sich immer noch drehenden Bühne reichen die kleinsten Darsteller*innen sich vorsichtig eine silberne Metallkugel weiter, Symbol für die Erde und das Leben, das weiter gehen wird. Im Hintergrund bewegt sich eine mit leichten Aufwärts- und Abwärtsbewegungen atmende Gruppe von circa 180 Menschen … Dieses besinnliche Bild beschließt einen nicht in allen Teilen nachvollziehbaren Abend. Allerdings bleibt eine jahrelange großartige pädagogische Arbeit von Graham Smith und Maria Pires als Schlusseindruck bestehen.
Vorab: Ich bin weder Tanz- noch Kunstexpertin, aber mit Emotionen kenne ich mich ganz gut aus 😉
Die Autorin schreibt „(Graham Smith )…verfängt sich doch immer wieder in so großen Massenszenen, dass gar keine Gefühle beim Publikum aufkommen können“ …. da frage ich mich, in welchem Publikum sie eigentlich saß. Um mich herum jedenfalls tief berührte, ergriffene Menschen. Alternativ kann man sich auch nach der Vorstellung einfach mal vors Theater stellen und erleben, mit welch positiver Energie die Menschen (egal ob mit oder ohne persönlichen Bezug zu den Tanzenden) aus dem großen Haus kommen.
Sollte die Autorin die Massenszenen als überfordernd empfinden, möchte ich ihr nahelegen, die Augen zu schließen – und einfach zu hören, wie wunderschön, zart und gleichzeitig kraftvoll Yael Cremonesi und der SoLD-Chor singen. „Dancing with the freaks“ wurde eigens für Passion von Dominique Kölbl geschrieben, und bewegt zutiefst in Text und Gesang.
Ich jedenfalls danke Graham Smith und Maria Pires und ihrer einzigartigen Truppe von ganzem Herzen für einen Abend voller Emotionen, der mich trotz der schmerzlichen Präsenz der schwierigen Weltlage berührt, gestärkt und hoffnungsvoll entlassen hat!
basierend auf den Schlüsselwörtern
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