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Europapremiere beim Kunstfest Weimar: Chen Wu-kang und Pichet Klunchun mit „Choreographing Story”
Geschichten erzählen ist bekanntermaßen eine der klassischen Funktionen von Bühnenwerken, ganz gleich welchen Genres. Das gilt auch für außereuropäische Tanzformen, wo die großen Mythen mitunter in verschiedenen Kulturräumen mit ihren unterschiedlichen Traditionen sehr divers interpretiert werden. Dieser Spur folgen Chen Wu-kang aus Taiwan und Pichet Klunchun aus Thailand in ihrer neuen Produktion „Choreographing Story”, das jetzt beim Kunstfest Weimar in einer Europa-Premiere zu sehen war.
Beide Choreografen verbindet eine lange Geschichte der Zusammenarbeit. Seit 2016 arbeiten die beiden immer wieder zusammen mit dem Ziel, einen Austausch zwischen ihren eigenen Tanztraditionen zu organisieren. Beide eint das Interesse an traditionellen Formen und wie man diese in zeitgenössischen Tanz übersetzen kann.
Für „Choreographing Story“ sind sie auf den Spuren des Hindu-Mythos des „Ramayana“ durch Südostasien gereist und haben vier Tanz-Meister*innen aus Indonesien, Thailand, Myanmar und Kambodscha besucht. Diese haben ihnen anhand von vier verschiedenen Figuren aus dem Mythos ihre eigenen traditionellen Tanzstile gelehrt. Davon ausgehend bringen die beiden nun ihre Version der Geschichte von der Entführung Sitas, die schöne Frau des Prinzen Rama, durch den Dämonen Ravana.
Reise durch Südostasien
Auf der Bühne in der Weimarer Redoute hängen weiße Stoffbahnen (und eine blaue). Zwei glitzernde Figuren mit Masken, die eine Mischung zwischen Affen und römischen Legionären assoziieren. Darin stecken Chen Wu-kang und Pichet Klunchun und krabbeln durch das Publikum, um dann dem schnell geschnittenen Video zu folgen, das assoziationsreich und ohne Worte die Reise der beiden durch Südostasien Revue passieren lässt. Immer wieder sieht man, wie sie sich an unterschiedlichen Orten Bewegungen aneignen und von den Tanz-Meister*innen gelehrt werden.
Viel Kontext ist das nicht und Chen Wu-kang erzählt, bevor die beiden – nun ohne Glitzerklamotten – in den Tanz einsteigen, einmal die Geschichte des Prinzen. Pichet Klunchum holt das blaue Tuch, das in zahlreichen Anverwandlungen das Kostüm sein wird für alles, vom Bühnenhimmel, und zwischen den braunen Sandbergen mit 13 Lichtern kann das Geschichtenerzählen beginnen. Und damit ein großes Rätsel der Assoziationen.
Zwischen Stil-, Figuren- und Kostümwechseln mit ständigem Umbinden dann von zwei blauen Tücher entstehen Bilder von hoher Poesie. Mal sehr plastisch, wenn Chen wie ein alter Mann über die Bühne oder Klunchun als Prinz auf den Vogel schießt, der die Entführung bezeugen könnte, doch manches ist auch eher abstrakt. Hinzu kommt die Melange der Stile. Aus dem Video erinnernd, erkennt man Unterschiede. Mal kommt etwas mit feingliedrigen Fingerspiel daher, andere Bewegungen kommen ganz aus dem Rumpf, mal ist es mimisch, mal spannt einer der Tänzer einfach das Tuch zu einer Art Zylinder auf.
So ist der Abend ein faszinierendes Rätsel, das verschiedene Traditionen, von denen sicher viele nicht wussten, dass sie existieren, zu einem Gesamtkunstwerk zusammenführt. Eine tänzerische Aneignung ohne jede Form von Gewalt sondern getrieben von Neugierde und Lust an der fremden Bewegung. Chen Wu-kang und Pichet Klunchum zeigen mit „Choreographing Story“ einmal mehr, warum sie im Tanzbereich derzeit zu den spannendsten kulturellen Brückenbauern zählen, die auf den Bühnen der Welt ihre Heimat haben.
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