Frisch und Unterhaltsam: „Pichet and myself“

Pichet Klunchun und Jérome Bel auf Kampnagel

Hamburg, 22/11/2007

Minimalistischer geht’s selten auf der Bühne zu: Zwei Männer unterhalten sich in Englisch – über Tanz, ihre Biographien und Lebensumstände – zwei Stunden kurz, kaum eine Minute zu lang. Der eine in schwarz, barfuß, Pichet Klunchun aus Thailand, der andere, schlabberiges Hemd und Hose, klobige Schuhe, Jérome Bel aus Frankreich, bekannter Choreograf und Performer. Klunchun, 35 Jahre alt, lässt sich im ersten Teil von Bel (43) befragen, stellt selbst im zweiten Abschnitt Fragen an Bel, immer wieder unterbrochen von Demonstrationen ihrer jeweiligen Tanzarten, ausgelöst durch „Can you show me…“.

Klunchun, in sich ruhend, unerschütterlicher gelassen (so scheint’s), kontrastiert zum verschmitzten, entspannten, aber sehr konzentrierten Bel. Der eine lebt in Bangkok, der andere in Paris und Rio; völlig unterschiedliche Welten, die sich im Fokus auf die Kunst treffen. Klunchun vertritt die Kunst des Khon, des thailändischen Maskentanzes, der, wie er erläutert, vor 200 Jahren aus Indien kam und die Geschichte der Könige Rama erzählt (wenn ich es richtig verstanden habe). Andere Zeitmaße als im Westen herrschen dabei: Über eine Woche zieht sich die Darbietung. Drei Stunden bis zur meditativen Stimmung dauert das Warmmachen mit einer simplen Folge, darunter Stampfen, ausgehend von der gebeugten 2.Position. Fast alle Bewegungen werden mit gebeugten Knien ausgeführt. Finger, Hände, Arme werden eingebunden mit genau definierten Gesten. Jede Bewegung des Körpers und seiner Glieder hat eine bestimmte Bedeutung Die Übergänge laufen geschmeidig, auch schnelle Abläufe binden sich ohne Hast ein. Sprünge oder Drehungen kommen nicht vor. Klunchun macht den Kampf des Dämons gegen den König vor, erklärt erst in Thai, für europäische Ohren archaisch klingend, und wiederholt in Englisch, gleichzeitig zur Bewegung. Streng stilisiert ist auch der Trauerzug, wenn der König gestorben ist: ein Laufen in Zeitlupe, mit abrollender Fußsohle.

Ein wesentlicher Unterschied zum westlichen Tanz: Beim Khon fließt Energie um den Körper, in den Körper, die Zuschauer müssen sich die Energie vom Tänzer holen. Wohingegen im Westen der Tänzer die Energie ins Publikum schleudert, konstatiert Klunchun, der es parodistisch exaltiert vorführt. Die scheinbar unbefangenen Reaktionen Bels – wie später auch umgekehrt Klunchuns - auf diese Demonstrationen erzeugen oft eine auflockernde Komik. Etwa wenn er versucht, Klunchuns Darstellung des Weiblichen, entwickelt aus einem Fluss immer komplexerer Abläufe, Armkreise, wie ungelenk nachzuahmen. Unter den vier Khon-Figuren Frau, Mann, Dämon und Affe verkörpert Klunchun den Dämon, weil er groß gewachsen ist. Er beherrscht zwar einige Bewegungen der anderen drei Formen, ist aber spezialisiert auf die des Dämons. Klunchun tanzt nicht vor Touristen, er will den klassischen Thaitanz wieder zur Anerkennung verhelfen. Zur touristischen Darbietung verkommen, Zuschauer verstehen nicht die Hintergründe, sehen nur das bunte Schauspiel, das bedauert er.

Von der Stilisierung zum Minimalistischen. Bel erzählt, er habe, nach Abschluss seiner Tänzerlaufbahn, zwei Jahre gelesen, was ihm unter die Finger kam. Daraus habe sich seine Lieblingsbewegung ergeben. „Can you show me“, fordert Klunchun. Bel geht zum Hintergrund der Bühne, steht. Kaum merkbares Mienenspiel, der Kopf dreht sich leicht nach links, der Körper bleibt ruhig. Eine clowneske Note scheint darin zu stecken: Nimmt er die Zuschauer ernst und/oder nimmt er sie auf den Arm. Andere Demonstration aus „a very boring piece of mine“ (Bel), dem Stück „The show must go on“: Zu David Bowies Gesang „One more time“ nimmt Bel die erste Pose ein, bewegt sich dann mit der plumpen Grazie eines Tanzbärs, wiederholt mehrmals. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagt Klunchun trocken, „keine großen Sprünge, keine schnellen Sprünge“, nichts Spektakuläres. Das sei Absicht, erwidert Bel, er wolle die Erwartungen des Publikums enttäuschen. Näher kommen sich die beiden beim Sterben auf der Bühne. Klunchun erklärt, das gebe es nicht beim Khon. Dort wird hinter der Bühne gestorben. Bel „stirbt“ beim Song „Killing me softly with your song“: Langsam nach vorne beugen, auf den Boden gleiten und auf den Rücken legen, Beine seitlich angezogen, schließlich ausstrecken. Die Hälfte des Songs agieren. Die andere Hälfte Stillstand, damit das Publikum Raum zu eigenen Assoziationen, Überlegungen, Gefühlen hat.

Das gefällt Klunchun, der vom Sterben seiner Mutter berichtet, die nach elf Jahren Leiden im Kreis der Familie friedlich gestoben sei. Das geht mich nichts an, denke ich, ist zu privat, um vor Publikum erzählt zu werden. Oder ist gut erfunden, um den Gefühlspunkt zu setzen. Wie überhaupt alles wie spontan aus dem Augenblick geboren wirkt, nicht erkennbar ist, wieviel improvisiert, wieviel festgelegt, geprobt ist. Was nun wiederum eine der Stärken der Produktion ist, die bei der inzwischen 81. Vorstellung weltweit noch frisch, unterhaltsam und zwanglos lehrreich wirkt.


Gesehene Vorstellung: 19.11.07

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