Beispielhaftes Miteinander
„touch_taff“ bei der Heidelberger Tanzbiennale 2025
Die Choreografin Lia Rodrigues ist eine der wichtigen künstlerischen Stimmen aus Brasilien – sie schafft es, politisches und künstlerisches Engagement nahtlos miteinander zu verbinden. Mit ihrer Companhia de Dança arbeitet sie seit 25 Jahren in einer Favela in Rio. Während sie in der Vergangenheit auch durch wütenden Protest auf sich aufmerksam machte, hüllt sie in ihrer Erfolgschoreografie „Encantado“ (2021) den politischen Diskurs in sanfte Tücher: Unzählige landestypische großformatige Stoffbahnen, bunt bedruckt mit Motiven aller Art, bilden zugleich Kostüme und Kulisse für ein fröhliches Fest, gefeiert von neun indigenen Darsteller*innen. „Encantado“ („Verzaubert“) bezeichnet ein Zwischenreich zwischen Himmel und Erde, bevölkert von mythischen Fabelwesen. In deren Rollen schlüpfen die Protagonist*innen mit genuiner Spielfreude.
Unter die Stoffbahnen kann man kriechen, mit ihnen Skulpturen formen, Fabelwesen gestalten, in die Rollen von Löwe, Schlange, Pilz oder Liane schlüpfen, man kann sie zum Lendenschurz knoten, als Rock, Schleier ober Oberteil tragen. Daraus lässt sich ein Babykörper formen oder ein Turban wickeln; man kann sich zu mehreren dahinter verstecken und gemeinsame Bewegungsfreude entwickeln. Zum rauschhaften Finale werden die Tücher bergeweise übermütig in die Luft geworfen.
Einziger Missklang in diesem schönen Spiel ist der Soundtrack, der bei einer großen Demonstration indigener Völker für die Anerkennung ihrer gefährdeten Gebiete im August 2021 aufgenommen wurde. Der raue, monotone rituelle Gesang der Gurani Mbya rückt in unbarmherzig gesteigerter Lautstärke in die Nähe eines Schlachtrufs. Da kriegen die Besucher*innen dann doch was auf die Ohren, wenn schon die Choreografie keinen Riss in der schönen Zauberwelt zeigt. Die landestypische Verwendung der bunten Tücher bleibt außen vor: Genau in solche Stoffbahnen hüllen sich die zahllosen Obdachlosen des Landes auf ihren Asphalt-Schlafstellen. Die Besucher*innen bei der Tanzbiennale spendeten der ungewöhnlichen Tournee-Produktion freundlichen Beifall.
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