Die Auserwählten 13
Die Tanzplattform Deutschland 2026 stellt ihr Programm vor
Wie Staubteilchen schwirren sie zum Schluss über die Bühne, losgelöst, frei und kommen in einem losen Pulk im schwächer werdenden Gegenlicht langsam zur Ruhe, wie am Ende eines langen Tages. Das Publikum bleibt in völliger Dunkelheit zurück, und am Ende der Vorstellung dauert es lange – sehr, sehr lange, bis schlussendlich der Applaus beginnt.
Womit Emanuel Gat als Gastchoreograf hier das Publikum so zu beeindrucken versteht, ist eine schlichte, von großer Geduld getragene Reverenz an das Leben. Denn genauso, wie sich ein Leben oft erst in der Rückschau verstehen lässt, ergänzen sich auch in „Abschied“ erst zum Ende hin, mit dem dritten Teil, die einzelnen Ansätze zu einem Ganzen.
Gat hat sich hier Musik von Gustav Mahler ausgewählt, zwei Lieder aus dem Zyklus „Das Lied von der Erde“. Dessen schwere, getragene Töne verbinden sich im ersten Teil aber offenbar gar nicht mit dem, was die Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne zeigen. Lose arrangieren sie sich immer wieder neu in Gruppen oder vereinzeln sich, laufen dazu entspannt über die Bühne, aufmerksam, mit offenem Blick.
Genauso offen und klar lässt sich das Lichtkonzept dazu fassen. Über einen Großteil des gesamten Stücks hinweg dominiert eine nüchterne, helle Lichtquelle aus der hinteren oberen Ecke die Atmosphäre, fast kalt. Während schließlich alle in das verfallen, was man von der Company inzwischen so schon unzählige Male gesehen hat, die lockere Improvisation mit unzähligen Variablen, wird Mahlers Komposition mit dem dazugehörigen Gesang stellenweise unerträglich laut.
Emotionale Tiefe und Hingabe an den Moment
Desto stärker fällt der Kontrast im zweiten Teil aus, der ganz ohne Musik gestaltet ist. Nur ein merkwürdiges Vogelzwitschern ist zu hören, das irgendwie „unnatürlich“ klingt. Es wirkt, als säße ein Vogel im Käfig, innerhalb begrenzender Wände. Langsam wird dieses Zwitschern überlagert von voraufgezeichneten Geräuschen der Tanzenden, wummernden Geräuschen, Aufstampfen der Füße, die immer halliger verfremdet und mit live über Mikrofone verstärkte Geräusche von der Bühne vermischt werden. Dabei laufen zwei kleine Uhren rückwärts, eine am vorderen Rand der Bühne, eine am hinteren, zählen von zehn Minuten auf Null. Die Tänzerinnen und Tänzer exerzieren dabei immer weiter Konstellationen durch, die wie Gruppenaufgaben wirken. Immer wieder Kommandos, Zurufe. Es wird stressig. Es gibt einiges zu erledigen. Die Zeit ist knapp.
Nach diesen zehn Minuten setzt Gat eine deutliche Zäsur. Das Ensemble wechselt von „Trainingskleidung“ in schlichte schwarze Kostüme, einfache lange Hosen, fast bodenlange, ärmellose Kleider mit Spaghettiträgern. Mit dem Einsetzen der Musik füllt sich der Bühnenraum immer mehr mit sanftem Nebel. In der Mitte gruppiert sich jetzt alles um ein zentrales Licht, das direkt senkrecht aus dem Himmel kommt.
Ab hier setzt Gat ein deutlich wahrnehmbares choreografisches Konzept an, das die Tänzerinnen und Tänzer äußerst sensibel und zugewandt miteinander agieren lässt. Das gestenreiche Vokabular wirkt dabei gleichzeitig intensiv wie still. Die entstehende Atmosphäre ist stark zurückgenommen, fast vorsichtig, was eine erstaunliche Emotionalität entstehen lässt wobei das Bewegungsmaterial weder Brüche noch Kanten vermeidet. Es wirkt, als hätte alles Sein und Tun auf diesen Abschnitt hingearbeitet. Als bräuchte es das Vorher, das jetzt zwar integriert, aber gleichzeitig nichtig wirkt. Ab hier zählt nur noch der Moment. Es ist ein tiefes Verständnis für die Dinge und den Verlauf, den sie nehmen. Am Ende ist zwar alles vorbei, aber eben erst am Ende, nicht eher. Bis dahin ist das Leben voller Fülle.
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