„F*cking Future“ von Marco da Silva Ferreira

Protest, camp / Protest-Camp

Deutschlandpremiere: „F*cking Future“ von Marco da Silva Ferreira auf Pact Zollverein in Essen

Die Zukunft ist camp. Das ist klar. Warum aber sieht sie so wütend aus? Und warum kippt die Kampfansage der Ausgegrenzten um in schwärmerische Träumerei?

Essen, 12/10/2025

Flirrend glänzt die quadratische Fläche. Der Tanzboden auf PACT Zollverein sieht aus wie ein Spiegel, entpuppt sich aber als Kampfplatz, als Austragungsort für individuelle Sichtbarkeit. Ziemlich zeitgemäß, will man meinen. Marco da Silva Ferreira präsentiert die Deutschlandpremiere von „F*cking Future“ und zeigt ziemlich schnell, dass er damit nahtlos an seine bisherigen Arbeiten anknüpft, etwa an „Carcaça“ (2022).

Reduktion ist dabei das zentrale Credo: Ein akustisches Blinken, ein einziger, beständig wiederholter Ton in der Dunkelheit. Bis der sich zum Beat mausert, dauert es. Genauso dauert es, bis alle acht Performer*innen auf der Bildfläche erscheinen, Nacheinander schließen sie sich zusammen zu einer Phalanx, einer synchronen Einheit, so geschlossen wie entschlossen. 

Die Reduktion, sie ist auch sichtbar. Ferreiras nicht zu bändigender Wille zur Bewegung, hier ist er wieder sofort da. Die ganzen 60 Minuten laufen in der Senkrechten ab. Die Tänzer*innen holen ihre Bewegungen die ganze Zeit über hauptsächlich aus den Schultern und der Wirbelsäule. Und so slick und smooth da die Anleihen an urbanes Catwalking auch wirken, das hat etwas Militaristisches. Einheitliche Kostüme stützen das noch. Bläulich glänzende Hosen, sexy Oberteile, die in Anlehnung an Kettenhemden nur eine Front aufweisen und mit schmalen Ketten am Oberkörper gehalten werden. Irgendwann später, wenn es mehr Licht hat als nur die vier Lichtgassen an den Ecken der Tanzfläche, fallen die fliederfarbenen Socken ins Auge: die Trendfarbe, das aktuelle Statement aller, die camp integrieren. Gleichzeitig blassgeschminkte Gesichter, rot umrandete Augen. Fast wie Zombies, krank, leidend. 

Lasziv vs. aggressiv

Und genau diese widersprüchliche Mischung ist es: Individuelle Lebensentwürfe wollen gelebt und wahrgenommen werden, treffen aber auf Widerstände in der Gesellschaft, auf Gegendruck. Deshalb die dünne Grenze zwischen ausgelassener Sinnlichkeit und strengem Marschieren. Synchron nehmen alle den gleichen Takt, gleichzeitiges Freeze. 

Und weiter. Immer weiter. Das ist ein schweißtreibender Protest gegen Widerstände der freien Entäußerung. Ohne abzusetzen immer wieder hin und zurück, von aggressiv drohend zu lasziv betörend. Von selbstbewusster Verführung zu trotzigem Protest. 

Das Publikum bekommt keine Gelegenheit zum Durchatmen. Die Beats kennen keine Gnade. Kurze Erholung in der Bewegung gibt es für die Tänzer*innen, wenn sie lauthals ihren Protest rausschreien. Verbrüderung suchen sie dann, Kraft im Trotz: „I don’t care what people say“. Sie sind es, die Butches, Bitches, Dykes und Divas. Die Queeren, die Queens, die Tunten. Sie stehen füreinander ein. „I am what I am“ hieß es bekanntlich schon 1983 im Musical „La Cage aux Folles“. 

Das wäre alles gut und schön, würden die Tänzer*innen mit Bruce Springsteens „Dream Baby Dream“ nicht plötzlich in einen Wunschtraum umkippen. Das „Come on, we gotta keep on dreaming“, zu dem sie auffordern, während sie über die Zuschauer*innen klettern, liest sich wie ein unfreiwilliges Eingeständnis einer Ohnmacht. Und das kann nicht der Sinn der Sache sein.

Natürlich reißt Ferreira auch hier das Publikum wieder mit. Die emotionale Intensität, mit der die wirklich starken Tänzer*innen überzeugen (Ferreira tanzt auch hier selbst mit), weist aber nicht über sich selbst hinaus. Wieder nicht, kann man sagen. Vorherige Arbeiten Ferreiras hatten eine vergleichbare Wirkung. Deshalb bleibt die Aussage auch hier wieder etwas knapp und eher eindimensional.  

In der arte-Mediathek ist ein Mitschnitt der Uraufführung im September in Lyon noch bis 30. Oktober 2025 verfügbar.

 

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