Eine Woche voller Überraschungen
Pick bloggt über einen historischen Ball in Bad Ems, „Hidden Tracks – Trammpelpfade des Glücks“ in der Brotfabrik Bonn und den Ballettabend „Duato | Kylián | Naharin“ beim Staatsballett Berlin.
Es gibt Vorstellungen, die erduldet man – immer in der Hoffnung, dass sich das Blatt wendet und die Szene sich entwickelt hin zu etwas Erträglichem, Nachvollziehbarem … Nicht alle Zuschauer*innen konnten durchhalten bis zum Ende der einstündigen Uraufführungschoreografie mit dem sperrigen Titel „#INCUBATIO Circumambulatio“. Was die Compagnie-Chefin Muriel Romero da dem interessierten, zum Teil von weit her angereistem Baden-Badener Publikum präsentierte, war wie ein unangenehmer Traum, aus dem man gerne so früh wie möglich aussteigen möchte.
Und tatsächlich thematisiert das Stück eine Reise ins Innere, so, wie es in Urzeiten durch den Tempelschlaf (Incubatio) als heilende und regenerierende Maßnahme praktiziert wurde. Muriel Romero, seit September 2024 Direktorin der renommierten spanischen Compagnie, erforscht mit Hilfe von interaktiven Medien und elektroakustischer Musik archetypische Bilder und Praktiken der Menschheit. In einer bedeutungsschwangeren Atmosphäre, die durch Dunkelheit, durchbrochen von Lasertechnologie und einer sich langsam, aber unentwegt steigernden Soundcollage entwickelt, treten die beiden Protagonisten: der Neophyt und sein Priester, sowie zehn mönchsähnliche Figuren in weißen Kutten und Kapuzen auf. Mit ihren Händen in langen, roten Handschuhen werden sie abwechselnd auf den Neophyt einwirken, der nach anfänglicher Vorstellung auf ein altarähnliches Podest gelegt wird, um in den heilenden Tempelschlaf zu fallen, aus dem er – durch höhere Eingebung eingeweiht – erwachen soll.
Marionette des Priesters
Das Ganze wirkt wie eine durch hohen technischen Aufwand inszenierte Séance, der Protagonist wird zur Marionette der Priester, die ihn unaufhörlich umkreisen (Circumambulatio) und mit ihren roten Armen, die durch das Laserlicht greifen, gleichsam elektrisieren. Dieser interessante Effekt hätte choreografisch sehr viel besser ausgenutzt werden können. Die Reise in die Träume des Protagonisten wird dabei eindrucksvoll und zugleich abstoßend illustriert durch Hologramme, die auf den Altar oder auf die durchsichtige Leinwand quer über die gesamte Bühnenbreite projiziert werden: von einem Werkzeugwesen, das sich durch Morphing in eine Schnecke verwandelt, die wiederum in eine immer größer werdende Zellwucherung bis hin zu einem pulsierenden Herzen, dessen Adern abgeschnitten sind und das die Verbindung zum Leben verloren hat.
Das alles beeindruckt visuell, frustriert aber die Zuschauer*innen, die Tanz erwartet haben. Bei aller Ambition des Unternehmens: Das von der Regie angestrebte Miteinander und Durchdringen von neuen medialen Möglichkeiten mit dem Tanz (Musik: Pablo Palacio, interaktive visuelle Simulation: Daniel Bisig) stellt sich nicht ein, der Tanz verkümmert hinter der Technik. Allerdings könnte man sich solche zum Teil großleinwandige visuelle Effekte sehr gut in modernen Operninszenierungen vorstellen. Am Ende, nachdem mindestens 50 Zuschauer*innen das Parkett verlassen hatten, hielten sich Bravo- und Buhrufe die Waage.
Fast wie ein Tanz von einem anderen Stern wirkte dann nach der Pause Nacho Duatos „White Darkness“ aus dem Jahr 2001, das noch heute von vielen internationalen Compagnien weltweit getanzt wird. Der ehemalige und langjährige Chef des Spanischen Nationalballetts erschuf mit diesem bewegenden Stück eine Art tänzerisches Requiem für seine an Drogensucht verstorbene Schwester. Er findet Bilder von Hingabe, Abhängigkeit und Ausgeliefertsein in dieser ungemein rasanten Choreografie: man fühlt und trauert mit der Protagonistin (ganz wunderbar getanzt von Kayoko Everhart), und man erfreut sich an diesem eleganten Tanz von insgesamt fünf Paaren. Großer Jubel am Ende, Publikum und Tänzer*innen wirken wie befreit.
Was ist nur mit dem Tanz von heute los? Kunst darf wehtun, aber sie darf das Publikum nicht in eine Sackgasse führen und es dort zurücklassen – es wird nicht wieder kommen.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Bitte anmelden um Kommentare zu schreiben