Liebestreiben findet jähes Ende
Gefeierte Premiere des Tanzstücks „Love Letters“ von Wagner Moreira im Regensburger Antoniushaus
Die 19. Ausgabe der Aids-Benefiz-Gala im Theater Regensburg
An die „Tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ erinnert sich vielleicht der*die eine oder andere Zuschauer*in bei der Aids-Tanzgala im Theater Regensburg, wenn Marko Weigert und Dan Pelleg in „Box“ über mannshohe Kisten rutschen, kippen und fliegen. Das Duett der beiden Ballettdirektoren des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau ist eines von mehreren amüsanten, kecken und scheinbar spielerisch leichten Stücken der 19. Benefiz-Gala zugunsten der Aidshilfe. Ursprünglich als Teil des Tanzabends „Schmetterlingsdefekt“ entstanden, wurde es herausgelöst und funktioniert prächtig als eigenständiges Kabinettstück. Zu irisch-keltisch inspirierter Musik des Penguin Cafe Orchestra necken sich zwei große Jungs, konkurrieren und blödeln miteinander. Ganz nebenbei wuchten sie ihre schweren Kisten wie Spielzeug eines Kasperltheaters durch die Gegend.
Große Klasse auch das „eigene ABC des Tanzes“, wie Moderator Peter Jungblut vom BR charmant und wohl durchdacht das gleichnamige Solo von Eric Gauthier ankündigt. Ganz im Wortsinn tanzt Luca Pannaci von der Dance Company Theaterhaus Stuttgart das von einer Off-Stimme aufgezählte Alphabet. Mit der nötigen Strenge eines Tanzlehrers schickt die Stimme den willigen Tänzer durch Figuren aus seriösen Tanz-Handbüchern, vermischt mit Begriffen aus einem prallen Tänzerleben. Lacher und Jubel über die hinreißende Mischung aus klassischem Ballett und grotesken Figuren sind geradezu folgerichtig.
Der Abend beginnt und endet mit der – neuen – Tanzcompany Regensburg. Ein zartes, inniges Liebesgedicht – „Poem“ – choreografiert von Hans Henning Paar, tanzen voller Hingabe Maria Bayarri Pérez, Trainingsleiterin der Company, und Leander Veizi. Mit Wagner Moreiras ursprünglich als Solo choreografiertes Möbelstück „Re(-)place“, also wechseln, wieder hinstellen, endet der unterhaltsame und witzige Abend in einem temporeichen, ironisch angerührten Bilderreigen aus Gesten, Geräuschen und Schuhplattlerzitaten. Geräuschvoll ziehen und schieben die Tanzenden kleine quadratische Tische über die Bühne, bauen daraus Käfige und Tunnels oder benutzen sie für packende Gruppenformationen. „Das Schöne an der Unordnung ist,“ kommentiert Jungblut listig die als „work in progress“ angekündigte Aufräumaktion der Company, „dass man Entdeckungen macht“.
Eine Entdeckung für die vom zeitgenössischen Tanz verwöhnten und begeisterten Regensburger ist das federleicht von Maria Baranova und Osiel Gouneo getanzte klassische Cinderella-Duett. „Der Appetithappen“ aus Sergej Prokofjews Ballett „Cinderella/Aschenbrödel“ feierte letztes Jahr Deutschlandpremiere beim Bayerischen Staatsballett in einer Choreografie von Christopher Wheeldon – und fand seinen Widerhall in der Oberpfalz.
Zweimal bildet J. S. Bachs Musik die Grundlage für Choreografien. „Violoncello“ von Nacho Duato thematisiert in einem Duett an der Grenze zum albernen Klamauk die Beziehung Bachs (Luca Pannacci) zu seinem Instrument. Letzteres mit ernsthafter Aufopferung verkörpert von der gebürtigen Brasilianerin Bruna Andrade. Ob diese Form vermeintlich erotischen Amüsements heute noch zeitgemäß ist, selbst ironisch gemeint, ist fraglich. „Bach Off!“ dagegen beschäftigt sich in einer quietschbunten Choreografie von Jacopo Godani für die Dresden Frankfurt Dance Company damit, wie klassisches Kulturgut auf die Gegenwart projiziert werden kann. Vier Tänzer bewegen sich staksig und schlangengleich als geschlossene Gruppe, in Paarbeziehungen und solistisch im musikalischen Kontinuum wie in einem Traum. Präzise zitternd ranken Cosmo Sancilio als Rose und Ana Casquilho in Marco Goeckes Choreografie „Le Spectre de la Rose“ ihre Arme, die wie Blätter im Wind flattern.
Von der tiefgründigen und zugleich leichtfüßigen Musik Astor Piazollas getrieben, wird Tänzer Michalis Dymiotis zu Boden geworfen, wieder hochgezerrt, gibt sich ihr bis zur Selbstaufgabe hin. Für Choreograf José Biondi, Professor an der Palucca Hochschule Dresden, mischen sich darin „Atem und Erinnerungen“. Mit Skateboard und Rollstuhl als ungewöhnlichen Requisiten faszinieren Sophie Hauenherm und Simon Wolant in Wagner Moreiras klischeefreier moderner Choreografie von Tschaikowskis „Nussknacker“. Fantastisch und packend ihr Ausschnitt, der „chinesische Tanz“, der alles an tänzerischer Leistung und Ausdruck zeigt, nur keine Inklusion.
Der Erlös der Benefizveranstaltung kommt dem Kinder-Aidshilfe Elonwabeni in Mitchells Plain und dem Notfallhilfe-Fonds der Aids-Beratungsstelle Oberpfalz zugute.
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