„TRANSIT“ von Wagner Moreira. Tanz: Chih-Yuan Yang, Vincent Wodrich, Pedro Henrique Ferreira, Win Mccain

„TRANSIT“ von Wagner Moreira. Tanz: Chih-Yuan Yang, Vincent Wodrich, Pedro Henrique Ferreira, Win Mccain

Orte des Transits und der Emotionen

Bei der Uraufführung des Tanzstücks „Transit“ von Wagner Moreira steht das Publikum im Theater Regensburg Kopf

In seinem neuen Tanzstück „Transit“, das am Theater Regensburg eine stürmisch gefeierte Uraufführung erlebte, bringt dies Wagner Moreira mit fesselnder Intensität zum Vorschein.

Regensburg, 17/10/2023

Man muss kein gläubiger Mensch sein, um das Leben als Transit, als einen Durchgang zu begreifen. Der Raum vom vorbewussten Zustand bis zu dessen Auflösung ist angefüllt mit Emotionen. Zeiten des Wechsels sind besonders mit Lust, Wut, Trauer, Freude, Angst und manchmal Entsetzen vollgesogen.

In seinem neuen Tanzstück „Transit“, das am Theater Regensburg eine stürmisch gefeierte Uraufführung erlebte, bringt dies Wagner Moreira mit fesselnder Intensität zum Vorschein. Ausgehend vom Jahresthema „Identitäten“ setzt sich der Leiter der Tanzcompany mit dem Thema des Aufbruchs und des Unterwegsseins von Menschen auseinander. In seiner eindrucksvollen Choreografie sind Tanzensemble, die Musik (Tom Woods) des argentinischen Komponisten Osvaldo Golijov, Bühnenbild (Kristopher Kempf), die umwerfende Sängerin Svitlana Slyvia und eine geschickte Lichtregie so eng verzahnt, wie man es selten erlebt.

Zudem scheint sogar Kairos, der Gott des richtigen Augenblicks, bei der Premiere seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Das hängt mit Golijovs Musik und Liedern zusammen. Darin verbinden sich auf einzigartige Weise jüdische, zeitgenössische und arabische Formen mit Traditionen des Balkans, Osteuropas und des Tango Nuevo. Musik, die ihren Ort hat und gleichzeitig über Grenzen geht. In den Texten spiegeln sich – wie in der Musik selbst – die Konflikte und Auseinandersetzungen der Kulturen des Nahen Ostens wider. Vermutlich gab es niemand im Publikum, der beim klagenden Klezmerklang der Klarinette und anderen Momenten nicht an die grausamen Bilder aus Israel und dem Gaza erinnert wurde.

In Trostlosigkeit versank „Transit“ dadurch jedoch keineswegs. Weder musikalisch und erst recht nicht in der tief bewegenden tänzerischen und gesanglichen Aufführung. Begleitet von einer Off-Stimme tasten sich Tänzer*innen zögernd, dann zunehmend gehetzt durch die Öffnung einer schwarzen Wand in den Lichtkegel eines Scheinwerfers. Eine neue, vielleicht auch beängstigende Umgebung tut sich auf. Die Sprecherin (Svitlana Slyvia) bewegt sich anmutig zwischen den Tanzenden. Im Verlauf des Abends nimmt sie verschiedene Rollen ein. Sie ist tröstende Mutter, Rächerin, Kämpferin und steigt gegen Ende mit den Tänzer*innen auf die Barrikaden.

Diese bestehen aus großen Gittern, welche die offene durchlässige Seite eines nach innen enger werdenden Raumes bilden. Innen ist der schwarze Kasten verspiegelt und lässt vom Gefängnis, über Heim oder Durchgang viele Assoziationen zu. Außen dient die wie zerlaufend wirkende Wand als Projektionsfläche für Videoeinspielungen von Emotionen und Gesichtern. Referenzpunkt bildet dafür der ästhetische Ansatz von Videokünstlern wie Bruce Naumann und Bill Viola.

In emotional aufgeladenen Bildern und Szenen, die mit den auf englisch, arabisch, hebräisch und spanisch gesungenen Liedern korrespondieren, bildet die Kompanie tanzend Brücken. Sie schafft Durchgänge und architektonisch anmutende Figuren oder hangelt sich an Wänden entlang. Ein ermordeter Gefangener, der sich weigert die machtgierige Prinzessin zu heiraten, wird auf den Schleppen langer Röcke von der tanzenden Trauergemeinde beweint. Reminiszenzen an Schuhplattler und den südafrikanischen Gumboot Dance werden in einer Sequenz wach, die von Radmila Besic exquisit auf der Gitarre mit flamencoartiger Musik begleitet wird. Mit den Füssen stimmt die Kompanie dabei einen Groove an, der etwas von der machtvollen Power solidarischer Kollektive ahnen lässt.

Von Szenen der Liebe und des Begehrens bis zu solchen der Trennung, Gewalt und des Verlustes, von Durchgang zu Durchgang versprüht die Kompanie eine fundamentale, entschlossene Kraft. Als Vögel mit schwarzer Rabenmaske, nackten Oberkörpern und gerafften Röcken beziehen sie gar die Tierwelt als Station des Transits mit ein und künden gleichzeitig vom allgegenwärtigen Tod. Es ist eine ungemein dynamische Choreografie. Präzise Sprünge, Hebungen und punktgenaue Ensembleszenen bei gegenläufig sich drehender Bühne vermitteln ein tänzerisches Niveau, das hohen Ansprüchen standhält. Ein Solo Vincent Wodrichs darf eigens hervorgehoben werden, zeigt es doch den schon immer faszinierend beweglichen ausdrucksstarken Tänzer in Höchstform. Ein weiteres, eindrucksvoll von Momoe Kawamura getanztes Solo weist den einzigen Schwachpunkt der eindringlichen Choreografie auf – es ist etwas zu lang.      

 

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