Tollkühne Männer und flatternde Frauen
Die 19. Ausgabe der Aids-Benefiz-Gala im Theater Regensburg
Gefeierte Premiere des Tanzstücks „Love Letters“ von Wagner Moreira im Regensburger Antoniushaus
„Einen Liebesbrief schreiben, der für Herzklopfen sorgt?“ „In diesem Artikel erfährst du…“ – so oder leicht abgewandelt klingen Dutzende, vielleicht Hunderte Seiten im Internet. Diese sollen einen „inspirieren“ und damit der Last entheben, aus eigenen Gefühlen und Gedanken einen Brief zu verfassen, mit dem man(n) die eigene Liebe oder Zuneigung zu einer anderen Person ausdrückt.
Tanzchef Wagner Moreira ist mit seiner Kompanie einen anderen Weg gegangen. Für ihr neues Tanzstück „Love Letters“ sind sie in die verwirrte und verwirrende, die zerrissene und zerreißende Gefühlswelt vieler Regensburger*innen gekrochen. Diese haben ihnen im Vorfeld Liebesbriefe aus ihren persönlichen Schatzkisten überlassen. Daraus haben der emotional weit offene Chefchoreograf und seine Crew einen reichhaltigen, von vielerlei Einfällen gespickten Abend kreiert. Gefühlt tausend und mehr Arten und Zustände von Liebe haben sie in eine abwechslungsreiche Choreografie gepackt, die viele sinnliche und assoziative Ebenen anspricht.
Da sind zunächst die Kostüme (Ausstattung Kristopher Kempf) der Tanzenden, die dem gängigsten Klischee entsprechend in Rottönen gehalten sind. Zusätzlich in rotes Licht getaucht, wird aus einer super schwülstigen Atmosphäre, in der das Ensemble in heftig zuckende und ruckelnde Kopulationsbewegungen verfällt, eine köstliche Lachnummer. Zaghaft – und auch ein wenig verlegen – kichernd, verfällt das leicht verunsicherte Publikum in eine amüsierte Stimmung, die von einem schroffen „Es reicht!“ noch gesteigert wird. Ein tänzerisch und überhaupt fantastischer Cupido (Vincent Wodrich) macht dem leistungsgetriebenen Treiben ein jähes Ende, welches die angestrengten Tanzenden mit erleichterten Seufzern quittieren.
Wenn es um Liebesbriefe, auch ge-, ver- und ertanzte geht, können Worte und Musik keinesfalls fehlen. Gleich zu Beginn verliest der mythologische Zeremonienmeister, dessen Job es ist den Fortbestand von 7,8 Milliarden Menschen neu zu ordnen, einen Brief an Wagner (Moreira) vor. Über Seilzugpost kommt immer wieder ein neues Brieflein, eine Liebesnachricht mit einem feinen „Bling!“ ins Spiel. Geöffnet, werden sie mal halblaut, mal lauter verlesen. In einer hinreißenden Szene lesen anfänglich verschiedene Tänzerinnen aus Briefen, bis die sich wehrende Natsuho Matsumoto vom Ensemble davongetragen wird und der Text immer unverständlicher zu einem musikalischen Rauschen gerinnt.
Neben dem vielleicht längsten Kuss der Tanzgeschichte, einem bravourösen Duett von Fátima López García und Leander Veizi, kommen auf Rollen montierte nostalgische Schreibmaschinen und Schaumstoffmatratzen zum Einsatz. Ungemein reizvoll und wunderbar heiter gerät das rasante Versteck- und Lustspiel mit den Matratzen. Auf einem tänzerisch, wie emotional enorm hohen Niveau lässt das gesamte Ensemble das Vergnügen geradezu spüren, das in einer unbeschwerten, spielerischen Begegnung nach – beispielsweise – einer Liebesnacht liegt. Es werden die Selbstliebe, die Liebe im Spiegel, innere Zerrissenheiten, Abschied, glühende Sehnsucht und inneres Chaos in feinen Duetten und Ensembleszenen ertanzt.
Mit Balladen, Pop- und Rocksongs, klassischer Musik von Clara und Robert Schumann bis Prokofjew und Sounds spielt Musik ebenso wie Stille eine kommentierende oder leitende Rolle. Das rhythmische Klacken der Schreibmaschinen trägt ganze Tanzszenen. Komödiantischer Slapstick, dynamische Szenen und romantische Stimmungen folgen manchmal im krassen Wechsel. Insgesamt hat das Tanzstück ein paar Längen.
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