„Die Zeit in meinem Haar“ von DIPHTHONG Kollektiv und studiobühneköln

Die Alte auf der Bühne

Das DIPHTHONG Kollektiv und studiobühneköln mit „Die Zeit in meinem Haar“ in der Alten Feuerwache Köln

Eine Sichtbarmachung von Alter, die sich an Klischees bedient und schließlich doch die Jüngere in Szene setzt.

Köln, 25/10/2025

Von Mareike Lyssy

Gekrümmte Handkrallen reißen das Gesicht auseinander. Die eine über die Stirn und den Schädel hinweg, die andere in die Tiefe Richtung Körper. Sie zerren am Gesicht, an der Luft davor, an der Seele. Die Haut kriegen sie nicht zu fassen, aber der Schmerz - die körperspannende Zerrissenheit - ist auch so spürbar. Wieder und wieder derselbe Versuch als schwarzweißes Zerrbild fixiert auf drei transparenten Stoffbahnen, begleitet von elektrisierten Tönen. Davor Natalia Murariu, die den Kampf ihres jüngeren Ichs noch einmal am eigenen Körper durchlebt und schließlich Abstand nimmt von dem, was war.
 

Scharniere des Alterns 
Das DIPHTHONG Kollektiv und studiobühneköln inszenieren mit „Die Zeit in meinem Haar“ die Sichtbarkeit des Alterns oder auch die Unsichtbarkeit alternder Frauen allgemein und performender Frauen im Speziellen. Sichtbar ist den ganzen Abend hinweg die 70-jährige Tänzerin Natalia Murariu. Sichtbar dabei, wie sie ihren Körper routiniert dehnt, wie er Bewegungssequenzen ausführt, die ihre klassische Ballettausbildung in Verschmelzung mit Einflüssen aus verschiedenen Jahrzehnten modernen Tanzes erkennen lassen. Mal öffnen sich ihre ausgebreiteten Arme in stolzer und empfangender Pose. Dann wird man jedes ihrer Gelenke gewahr, wo diese nicht länger verbindende Elemente eines gedehnten Körpers, sondern sich ruckartig verstellende Scharniere zwischen Einzelteilen sind. Gicht denkt man, wo Titel und Programmheft den eigenen Blick bereits für das Thema Alter sensibilisiert haben. 
 

Das Sichtbare und das Hörbare
Getragen wird der Abend vor allem von der zweiten Frau auf der Bühne, der Musikerin und Performancekünstlerin Anna Illenberger. Illenberger begleitet die Sichtbarkeit Murarius nicht, sie macht diese Sichtbarkeit hörbar. Mit Tonimpulsen, die Murarius getriebene, dann wieder ausruhende Schritte strukturieren. Mit ihrer Stimme, die den überschaubaren Raum grenzenloser wirken lässt und dem Gesehenen weitere Dimensionen eröffnet, wo sie vom „anderen Ufer“ singt und davon, dass Dinge sich ändern. Letztlich mit ihren Worten. „Natalia, was hättest du eigentlich gemacht, wenn du nicht getanzt hättest?“. Die nachhallende Präsenz Illenbergers ist (zumindest an diesem Abend) nicht dem für unsere Gesellschaft symptomatischen Verdrängen alternder Frauen durch das illusorische Ideal der Jugend geschuldet. Es sind die Klischees, innerhalb derer Murariu inszeniert wird und die ihr den Raum zur vollen Entfaltung nehmen.
 

Vorstellung vom Alter(n)
Klischees wie eben das Antanzen gegen Videoaufnahmen der jungen Murariu. Oder der gepunktete Schal, der eingangs verspielt von ihr durch die Luft geschwungen und später von einem schwarzen, mit silbernen Fäden durchzogenen Schal und ernster Miene abgelöst wird. Die Rosen, die von der Tänzerin erst selbst auf dem Boden drapiert und schließlich von ihr aufgehoben und vor ihrem Brustkorb gesammelt werden, werden schließlich Grabschmuck, als sie ihren Körper ausgestreckt zur Ruhe bettet. Und ebenso die Videoaufnahmen der heutigen Murariu, wie diese die „Mondscheinsonate” des Dichters Giannis Ritsos vorliest, zeigen das Klischee einer „Grande Dame“. Eine würdevoll gealterte Künstlerin in nachdenklicher Pose mit vollem, gescheiteltem Haar, faltigem, aber schlankem Hals und Zigarette in der Hand. Ein Ich im Alter, das selbst wieder Ideal ist.

Am Ende bleibt die Frage, ob Sichtbarkeit allein das gesellschaftlich verankerte Verdrängen von Frauen im Alter aus der Öffentlichkeit beenden kann. Ein klares Nein muss hier die Antwort sein. Wie Sichtbarkeit geschaffen, wie Sichtbarkeit eingefordert wird, scheint die zentrale Herausforderung zu bleiben. Wenn gealterte, alte, an Lebensjahren reiche Frauen auf Bühnen stattfinden, ohne über ihre Jugend reminiszieren zu müssen, ohne sich zu ihrer vergangenen Jugend in Beziehung setzen zu müssen, dann sind wir als Gesellschaft ein Stück weiter. Dann hören wir vielleicht auf, Alter als den Verlust von Jugend zu verstehen und erkennen, dass Altern eigenständige Lebensrealitäten produziert, die für sich stehen. Das gelingt dem DIPHTHONG Kollektiv und studiobühneköln an diesem Abend leider nur bedingt, unserer Gesellschaft hingegen noch weniger. 

Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.

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