Tabula Rasa in Köln
Aus für Richard Siegal und sein Ballett of Difference
von Nico Hartwig
„Iiiiiich, kaaaaann niiiiiiiiicht meeeeehr!“ singt Cristiana Morganti, im harten Lichtkegel, sich langsam, apathisch um sich selbst drehend. „THIS IS A PREMIERE“ heißt der Abend, weil die Veranstalter*innen Premieren bevorzugen. Premieren, so erklären die beiden Tänzer*innen, bringen bei Festivals mehr Aufmerksamkeit, mehr Fördergelder. Nachhaltig ist das nicht unbedingt, aber keine Sorge: Alles sei recycelt, auch die Bewegungen.
Wenn du über die richtigen Themen sprichst, bekommst du mehr Geld
Soavi habe ein monumentales 67-seitiges Konzept für die Förderanträge des Stücks geschrieben. Darin stehe dann genau das, was die Geldgebenden hören wollen. Wer heute in der freien Szene ein Stück produzieren will, müsse bereit sein, das kafkaeske Spiel der Bürokratie bis zum Ende mitzuspielen. Nicht zuletzt müsse man sich prüfen lassen: Ist das, was man da vorhat, „relevant“ genug? Modisch?
Zwischen ihren Tanzsequenzen sitzen sie auf zwei Stühlen und unterhalten sich. Morganti erwähnt, wie erstaunlich sie es findet, dass Emanuele mehr redet als sie, und ja, sie reden wirklich viel. Manchmal wirkt es, als wäre man von den beiden in ihr Wohnzimmer eingeladen worden. Plötzlich brechen sie in italienische Lieder aus, sie albern herum, aber sie ärgern sich auch zusammen.
„Wer Stücke über Gender oder KI macht, bekommt leichter Geld.“ Manche Festivals fördern nur den Nachwuchs – dazu gehören die beiden erfahrenen Tänzer*innen nun nicht mehr. Dabei sei dann vieles, das auf der Bühne lande, nur abstraktes Durch-den-Nebel-Tanzen.
In den 80ern war das anders. „Sie sind beide vor 30 Jahren aus Italien nach Deutschland gekommen – was war Ihr erster Eindruck?“, fragt die Stimme aus dem Off. In Deutschland, erzählen sie, seien Künstler*innen zu dieser Zeit weitaus mehr geschätzt worden als im damaligen Italien. Kultur – das war hier etwas, das großgeschrieben wurde.
Tanzen = Resilienz
Der Krise, der Entfremdung von der eigentlichen Arbeit – vom Tanzen hin zum Antragsstellen – begegnen die beiden mit Humor und, wie sollte es anders sein, Tanzen! Ihre Stile sind unterschiedlich und gemeinsam entfalten sie auf der Bühne eine Leichtigkeit, die ansteckt.
Am Ende tanzen sie tatsächlich abstrakt durch den Nebel – doch mit Exzellenz, die aus Jahrzehnten der Erfahrung erwachsen ist. Mit Ausdruckstanz, Skurrilität und Wut sagen sie dem Förderlabyrinth des 21. Jahrhunderts den Kampf an.
Am Schluss sieht man zwei Tanzkünstler*innen, die ihre Arbeit tun – handwerklich, kraftvoll, mit einer Ausstrahlung, die ihresgleichen sucht. Zwei, die alle Hürden und bürokratischen Entfremdungen mit Disziplin, Würde und unerschütterlicher Körperlichkeit übertanzen und, ja, auch einfach echte Labertaschen sind.

Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.
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